Die wichtigsten Themen dieses Blog-Artikels
Der Begriff „Minimum Viable Product“ (MVP) und die damit verbundene iterative Herangehensweise bei der Einführung neuer Produkte haben sich in den letzten Jahren auch im Payment-Umfeld etabliert.
Ein aktuelles Beispiel aus der Branche ist die Einführung der digitalen Zahlungslösung Wero durch die European Payments Initiative (EPI), die zunächst mit stark limitiertem Funktionsumfang und einer relativ geringen Bankenabdeckung an den Start ging.
Während MVPs dazu beitragen, Produkte schneller und kosteneffizienter auf den Markt zu bringen, stellen sie in regulierten und komplexen Bereichen wie dem Zahlungsverkehr besondere Herausforderungen dar.
In diesem zweigeteilten Blog-Artikel erfahren Sie, was hinter dem MVP-Ansatz steckt und was ihn auszeichnet. Hier, im ersten Teil, erläutere ich, welche spezifischen Herausforderungen sich bei der Einführung von Zahlungsprodukten ergeben und wo die Grenzen dieser Methode im Payment-Bereich liegen.
Das MVP-Konzept: gerade so viel wie nötig
In seinem Buch „The Lean Startup“ beschreibt der US-amerikanische Unternehmer Eric Ries, warum viele Start-ups trotz innovativer Ideen und harter Arbeit scheitern. Dabei gibt er sowohl seine Erfahrungen als auch die vieler anderer Gründerinnen und Gründer wieder und plädiert für einen Paradigmenwechsel: Anstatt sich auf die Perfektion eines Produkts zu konzentrieren, empfiehlt er, zunächst eine einfache, bewusste Unvollkommenheit zu akzeptieren – das Minimum Viable Product (MVP). Dieses Produkt wird so früh wie möglich an erste Kundinnen und Kunden ausgeliefert.
Im weiteren Zeitverlauf wird das MVP kontinuierlich verbessert, und zwar in sehr kurzen Zyklen. Dabei spielen zwei Feedbackquellen eine zentrale Rolle: Zum einen die direkten Reaktionen der frühen Nutzerinnen und Nutzer, zum anderen – und laut Ries noch entscheidender – die Analyse der tatsächlichen Verwendung. Ziel ist es dabei, durch ein experimentelles Vorgehen und systematisches Testen herauszufinden, welche Funktionen von den Kundinnen und Kunden als wertvoll erachtet werden. So können gezielt jene Features weiterentwickelt werden, die nicht nur einen unmittelbaren Nutzen bieten, sondern auch ein langfristig tragfähiges Geschäftsmodell unterstützen.
Welche Erfahrungen prägen den Payment-Sektor?
In der Payment-Branche haben Fintechs wie Adyen, Block (ehemals Square), Klarna, PayPal und Stripe gezeigt, wie wichtig die enge Zusammenarbeit mit Entwicklerinnen und Entwicklern ist: Konsequent auf deren Bedürfnisse einzugehen und gleichzeitig das Nutzererlebnis zu fokussieren, hat die Innovationskraft gestärkt und damit das Marktumfeld der traditionellen Anbieter wie Acquirer und Prozessoren erheblich verändert. Die zunehmende Wettbewerbsintensität bringt etablierte Player in Zugzwang, ihre Dienstleistungen zu überdenken und bei der Produktgestaltung – über ihre direkte Kernzielgruppe hinaus – die Bedürfnisse aller Parteien zu berücksichtigen.
Gerade bei gescheiterten Produkten im Zahlungsverkehr zeigte sich oft, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Stakeholder unzureichend bedacht wurde. Beispielsweise wurde in einigen Fällen unterschätzt, wie ein komplizierter Registrierungsprozess Endkundinnen und -kunden von der Nutzung eines Produkts abhält, welche wichtige Rolle Integratoren spielen können oder wie komplexe Vertragskonstellationen auf Händlerseite eine erfolgreiche Marktdurchdringung verhindern.
Wie minimal darf ein Zahlungsprodukt sein?
Wenn es um Zahlungen geht, sind einige Dinge unverzichtbar. In erster Linie sind hier der Schutz vor Betrug und eine konstante Verfügbarkeit zu nennen, die die Nutzenden heute einfach erwarten.
Im Zusammenhang mit Sicherheit und Vertrauen, aber auch um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, gibt es im Zahlungsverkehrsmarkt eine Reihe von Regulierungen. Wenn es um die schnelle Markteinführung neuer Produkte mit Hilfe des MVP-Ansatzes geht, stellen diese eine wesentliche Herausforderung dar.
Zu den wichtigsten Regulierungen im deutschen Zahlungsverkehr zählen:
- Zahlungsdiensterichtlinie der EU (Payment Service Directive, PSD) – gibt u. a. eine starke Kundenauthentifizierung für viele Zahlungsvorgänge vor.
- Regulierungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – fordert bspw. eine Lizenz und die Einhaltung strenger Vorschriften bei der Abwicklung von Kartenzahlungen zwischen Händlern und Endkundinnen bzw. -kunden.
- SEPA-Verordnung – standardisiert grenzüberschreitende Zahlungsvorgänge im europäischen Binnenmarkt.
- Anti-Geldwäsche-Gesetze – verlangen bspw. die Einhaltung von Know-Your-Customer-Vorgaben (KYC), um Geldwäsche und Terrorfinanzierung zu verhindern.
- Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) – regelt den Umgang mit Kundendaten und gibt Kundinnen und Kunden mehr Kontrolle über ihre Daten.
- E-Geld Richtlinie – enthält bspw. strenge Vorschriften zum Schutz der Kundengelder bei der Ausgabe von Prepaid-Karten oder digitalen Geldbörsen.
Betrifft die Produktentwicklung einen regulierten Bereich, ist es unumgänglich, die jeweiligen Vorgaben für das MVP zu beachten und umzusetzen. Und schon ist es oft gar nicht mehr so „minimal“.
Eine weitere zentrale Frage im Zahlungsverkehr ist, wie weit eine Lösung bei den Endkundinnen und -kunden bzw. Akzeptanzstellen verbreitet ist – ein klassisches Henne-Ei-Problem. Denn Kundinnen und Kunden verlieren schnell das Interesse an einer neuen Zahlungsart, wenn diese bei ihren bevorzugten Händlern nicht akzeptiert wird. Sie greifen stattdessen lieber auf bewährte Zahlungsmittel zurück. Umgekehrt sind Händler oft zögerlich, neue Zahlarten einzuführen, wenn sie nur wenig genutzt werden. Diese Problematik tritt auch bei Person-to-Person-Zahlungen auf: Eine neue App zur Überweisung von Geld an Freunde wird nur dann erfolgreich sein, wenn eine kritische Masse im Freundes- und Bekanntenkreis diese ebenfalls verwenden kann, um Zahlungen zu empfangen.
Und was macht ein „Minimum“ „viable“?
Beim Bestreben, ein Payment-Produkt möglichst schnell auf den Markt zu bringen, sollte nicht nur zwischen Geschwindigkeit und Qualität abgewogen werden. Vielmehr muss das „Minimum“ so definiert werden, dass es den langfristigen Erfolg des Produkts nicht gefährdet. Um für die Tragfähigkeit eines Produkts („viable“) zu sorgen, ist es ratsam, sich bereits vor dem Festlegen des MVP-Umfangs intensiv mit den erfolgsrelevanten Faktoren auseinanderzusetzen. Dabei sollten klare Grenzen und die Aspekte definiert werden, die keinesfalls vernachlässigt werden dürfen – selbst wenn dies längere Entwicklungszeiten für die erste Version des Produkts bedeutet.
Im zweiten Teil meines Blog-Artikels erkläre ich anhand konkreter Beispiele, was über Erfolg und Nichterfolg bei MVPs im Payment-Umfeld entscheidet. Sie möchten mehr über dieses Thema erfahren? Sprechen Sie mich gerne an!