Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sichert die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit des Staates und prägt die Art, wie Bürgerinnen und Bürger diesen wahrnehmen. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels und steigender Anforderungen an Effizienz und Sicherheit stellt sich die Frage: Wie kann die digitale Transformation von Behörden gelingen? Eine Antwort darauf ist die Cloud, so Harald Joos, Cloud-Beauftrager der Deutsche Rentenversicherung Bund und Experte für digitale Transformation. Im Interview mit CGI gibt er Einblicke in die Chancen und Herausforderungen der Cloud-Nutzung im öffentlichen Sektor.

CGI: Herr Joos, Sie sehen den Fachkräftemangel als eine große Herausforderung für die öffentliche Verwaltung und setzen auf die Cloud als Lösung. Ist die öffentliche Verwaltung in Deutschland bereit für die Cloud, oder sollten wir zuerst die Digitalisierung der Prozesse vorantreiben?

Harald Joos: Cloud-Lösungen werden in der öffentlichen Verwaltung bereits genutzt, aber eine einheitliche Strategie für alle ist unrealistisch. Das Angebot muss zu den individuellen Bedürfnissen passen, denn die Anforderungen und Rahmenbedingungen sind einfach zu unterschiedlich. Deshalb sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, eine Lösung zu finden, die von allen einstimmig beschlossen wird. Die Cloud sollte eine Option sein, kein Zwang. Wer sie nutzen möchte, soll es tun, wer nicht, muss es nicht. Wichtig ist, dass der Staat klug steuert und darauf achtet, eine ausgewogene Balance zu finden. Wir sollten Cloud-Lösungen gezielt einsetzen, aber nicht blindlings alles darauf auslagern. Die Verantwortung liegt auch bei der Politik, dafür zu sorgen, dass sinnvolle Lösungen genutzt werden, ohne dabei den Markt zu verzerren oder sich in eine vollständige Abhängigkeit zu begeben.

CGI: Inwiefern kann die Cloud konkret helfen, den Fachkräftemangel zu bewältigen?

Harald Joos: Bis 2030 scheidet rund ein Drittel der Beschäftigten im öffentlichen Dienst altersbedingt aus, während die Personalkosten weiter steigen. Deshalb müssen Verwaltungsprozesse effizienter werden. Doch mit den bisherigen, abgeschotteten IT-Infrastrukturen stoßen wir an Grenzen.

CGI: Das kann durch die Cloud gelöst werden.

Harald Joos: Exakt. Sie ist das Fundament der Digitalisierung und ein echter Beschleuniger. Wichtig ist dabei, die Cloud nicht als Selbstzweck zu sehen, sondern gezielt dort einzusetzen, wo sie echten Mehrwert bietet. Ein konkretes Beispiel aus einem meiner letzten Projekte: Ein externer Dienstleister verlor massiv an Produktivität, weil er aus seiner gewohnten Entwicklungsumgebung in eine geschlossene Umgebung wechseln musste. Mit der Cloud wäre das Problem vermeidbar gewesen, wir hätten also viel Zeit und Kosten gespart. Zudem setzen viele moderne Lösungen – etwa SAPs Business Technology Platform – längst auf die Cloud, häufig sogar auf Plattformen der US-Hyperscaler. Zukünftig werden immer mehr Produkte auf Cloud-Dienste setzen. Wenn die öffentliche Verwaltung also konkurrenz- und handlungsfähig bleiben will, muss sie Cloud-Lösungen integrieren, natürlich jeweils angepasst an die eigenen Rahmenbedingungen. Wenn wir es irgendwann schaffen, Fachanwendungen cloud-nativ zu entwickeln, dann können wir diese auf jeder Cloud laufen lassen, also egal bei welchem Anbieter.

CGI: Cloud-native Anwendungen erhöhen so die Resilienz der öffentlichen Verwaltung.

Harald Joos: So ist es. Fällt ein Rechenzentrum nach einem Angriff aus, kann das Monate dauern bis der Betrieb wieder aufgenommen werden kann, Cloud-native Anwendungen hingegen lassen sich in einer anderen Infrastruktur schnell wieder hochfahren. Ein weiteres Plus: Kosteneinsparungen. Statt für jeden Mitarbeitenden eine feste Lizenz zu kaufen, ermöglichen Floating Lizenzen in der Cloud eine bedarfsgerechte Nutzung. Das typische Beispiel ist für mich hier M365. Viele Sachbearbeiter benötigen für den Großteil ihrer Arbeit die jeweilige Fachanwendung und M365 nur hin und wieder. Da sind Floating Lizenzen unglaublich hilfreich – es bedarf keines Enterprise Agreements mehr. So bleibt die öffentliche Verwaltung handlungsfähig, effizient und zukunftssicher. Wichtig ist es, sich nicht vor der Cloud zu verschließen, sondern die ideale Strategie für die eigene Behörde zu identifizieren.

CGI: Sie erwähnen US-Hyperscaler. Eine Befürchtung ist, dass US-Anbieter deutschen Alternativen wie der Bundescloud den Raum zum Wachsen nehmen. Wie sehen Sie das?

Harald Joos: Grundsätzlich sollten wir alle Cloud-Lösungen nutzen können, aber nicht zwingend müssen. Wo immer möglich, sollten wir auf deutsche und europäische Lösungen setzen. Ein kompletter Verzicht auf US-Anbieter ist allerdings kaum möglich und würde wahrscheinlich auch zu Lasten unserer Produktivität gehen. Niemand kann die geopolitische Zukunft vorhersagen, daher sollten wir uns nicht selbst unnötig einschränken.

CGI: GAIA-X oder die deutsche Verwaltungscloud sind jedoch vielversprechende alternative Konzepte, oder?

Harald Joos: Ja, aber ihr praktischer Nutzen ist derzeit noch begrenzt. Bei GAIA-X bremsen unter anderem zu viele Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen den Fortschritt. Stattdessen sollten wir mit einer kleineren Gruppe starten, einen praxistauglichen Standard entwickeln und diesen dann schrittweise ausbauen. Gleichzeitig ist die Sorge vor zu großer Abhängigkeit berechtigt – ganz egal, von welchen Cloud-Anbietern wir hier sprechen. Viele Softwarehersteller koppeln ihre Produkte an spezifische Cloud-Lösungen. Deshalb müssen wir mit ihnen in den Austausch gehen, um sicherzustellen, dass ihre Software auf verschiedenen Clouds läuft – für mehr Unabhängigkeit und Flexibilität.

CGI: Wie lässt sich der Nutzen von US-Angeboten mit den Anforderungen des deutschen Datenschutzes vereinbaren?

Harald Joos: Die Cloud-Nutzung ist nicht verboten, wir haben dafür Regelungen. Im Gesundheitsbereich ist sie zum Beispiel explizit im § 393 SGB V geregelt. Inzwischen gibt es zahlreiche Praxisbeispiele dafür, wie Cloud-Lösungen, auch US-Cloud-Lösungen, datenschutzkonform genutzt werden können. Als deutsche Staatsbürger vertrauen wir allerdings intuitiv eher heimischen Anbietern. Ein Vorteil ist: Wenn wir auf Cloud-Anbieter setzen, bedenken wir das Thema Datenschutz automatisch und verschlüsseln unsere Daten vielleicht sogar mehr und besser als im eigenen Rechenzentrum. Entscheidend ist, dass wir die Schlüssel selbst verwalten und nicht aus der Hand geben. Zudem sollten wir immer verschiedene Szenarien durchspielen. Was passiert, wenn das eigene Rechenzentrum ausfällt? In solchen Fällen sind deutsche Alternativen essenziell. Aber was, wenn unsere gesamte Infrastruktur attackiert wird?

CGI: Dann kann es sinnvoll sein, auch auf globale Lösungen zurückzugreifen.

Harald Joos: Richtig. Für mich zählt deshalb vor allem eines: Wir müssen die Resilienz in Deutschland und Europa stärken. Das bedeutet, uns nicht von einem einzelnen Anbieter abhängig zu machen – egal, ob er aus Deutschland, den USA oder anderswoher kommt. Entscheidend ist, dass wir immer flexible und sichere Optionen haben. Die aktuelle geopolitische Situation trägt allerdings dazu bei, dass die US-amerikanischen Lösungen in der näheren Zukunft etwas weniger nachgefragt werden dürften. Das ist gut für den Cloud-Markt in Europa und hilft eine zu starke Abhängigkeit von zu wenigen Anbietern zu vermeiden.

CGI: Sie haben einmal gesagt, dass sich jeder fragen sollte, wie man selbst zum Gelingen beiträgt. Wie tragen Sie denn zu einer gelingenden digitalen Transformation mit Blick auf die Cloud bei?

Harald Joos: Wir stecken in einem gewaltigen Transformationsprozess, in dem die Lösungen von gestern zukünftig nicht mehr ausreichen. Der technologische Wandel, steigende Anforderungen und geopolitische Unsicherheiten erfordern neue Ansätze; alte Rezepte helfen nicht weiter. Deshalb müssen wir bereit sein, uns zu verändern, auch wenn Veränderung immer mit Unsicherheit verbunden ist. Sie ist nie einfach, aber ohne sie wird es nicht funktionieren. Entscheidend ist, die Menschen mitzunehmen und ergebnisoffene Diskussionen zu führen.

CGI: Ein Plädoyer gegen Schwarz-Weiß-Debatten …

Harald Joos: Unbedingt. Es gibt nicht die einzig richtige Lösung. In manchen Fällen ist das eigene Rechenzentrum die beste Wahl, in anderen bieten deutsche oder europäische Cloud-Anbieter klare Vorteile. Und manchmal sind US-Anbieter die effizienteste Option. Wichtig ist, dass wir flexibel bleiben und je nach Situation die Lösung wählen, die den größten Nutzen bringt. Denn wir bewegen uns zu langsam, während immer mehr Fachkräfte aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden. Wenn wir nicht frühzeitig handeln, droht die Verwaltung handlungsunfähig zu werden. Um das zu verhindern, müssen wir loslegen, Kompromisse eingehen und die jeweils beste Strategie entwickeln – je früher, desto besser.

CGI: Was ist Ihr Wunsch für die Entwicklung der Cloud-Landschaft in Deutschland?

Harald Joos: Ich wünsche mir, dass wir mehr große deutsche Anbieter haben und diese stärker genutzt werden und wir gleichzeitig offen für andere Lösungen bleiben. Es braucht eine Strategie, die die deutsche und europäische Industrie stärkt, ohne uns von amerikanischen Lösungen abzuwenden. Ich hätte gerne die Möglichkeit, bei den amerikanischen Anbietern einkaufen zu können, aber nicht zu müssen. Wichtig ist für mich auch der Ausbau und die Konsolidierung unserer Rechenzentren und Standorte, da der Energiebedarf und die Anforderungen an die Informationssicherheit weiter steigen werden. Wenn wir diesen Balanceakt meistern, sind wir auf dem richtigen Weg.

CGI: Vielen Dank für das Interview!

Die richtige Strategie ist entscheidend. Wir helfen Ihnen dabei, Ihre Cloud-Transformation erfolgreich zu gestalten und Ihre Ziele sicher zu erreichen. Sprechen Sie uns gerne an!