Künstliche Intelligenz ist für die öffentliche Verwaltung in erster Linie eine Chance – keineswegs primär eine Bedrohung. Sie bietet Lösungen für überlastete Systeme, Kapazitätsengpässe und langwierige Prozesse. Damit hat die Technologie das Potenzial, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den öffentlichen Sektor und seine Beschäftigten nachhaltig zu stärken. Davon ist unser Experte Dr. Philipp Böhnlein, Executive Consultant, überzeugt. Im Interview erläutert er Potenziale und Herausforderungen.

CGI: Hi Philipp. KI wird häufig risikoorientiert besprochen. Was ist denn das größte Risiko für die öffentliche Verwaltung in Bezug auf den Einsatz von KI?

Philipp Böhnlein: Ganz klar: der Verzicht, der konsequente Nichteinsatz. Die öffentliche Verwaltung kann es sich angesichts der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen schlichtweg nicht leisten, auf KI zu verzichten. Schon heute arbeiten viele Kommunen an der Belastungsgrenze. Der zunehmende Fachkräftemangel infolge der demografischen Entwicklung wird die Lage zusätzlich verschärfen. Eine wachsende Frustration – sowohl bei Bürgerinnen und Bürgern als auch bei den Mitarbeitenden in Bürgerservicebüros und Ämtern – ist damit vorprogrammiert. Dabei brauchen wir dringend positive Interaktionen zwischen Bevölkerung und Verwaltung – etwa durch einfache, digitale Unterstützungsangebote. Nur so kann Vertrauen in den öffentlichen Sektor und damit in die Vertreterinnen und Vertreter unserer Demokratie entstehen und gestärkt werden.

Welche Vorteile bietet der Einsatz von KI für die öffentliche Verwaltung konkret?

Philipp Böhnlein: Die Einsatzmöglichkeiten sind enorm vielfältig. KI kann beispielsweise Plausibilitätsprüfungen durchführen, Anträge auf Vollständigkeit überprüfen oder die passende Regelung bzw. Norm für eine spezifische Gemeinde oder Behörde identifizieren. Das sind keine optionalen Extras – das sind zentrale Hebel zur Aufrechterhaltung unserer Leistungsfähigkeit in den Behörden. KI erlaubt es uns, die Geschwindigkeit und Qualität von Verwaltungsleistungen signifikant zu steigern – und gleichzeitig die Mitarbeitenden spürbar zu entlasten. Dadurch gewinnen sie Zeit für Beratung und persönliche Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern zurück. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt: Die Zufriedenheit auf beiden Seiten steigt. Denn die Verwaltung ist der zentrale Berührungspunkt zwischen Staat und Gesellschaft – sie ist der Maschinenraum unserer Demokratie. Und in diesem Raum sollten Effizienz, Bürgernähe und Serviceorientierung vorherrschen – nicht Frustration.

Welche Herausforderungen siehst du beim Einsatz künstlicher Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung?

Philipp Böhnlein: Eine der größten Herausforderungen liegt im Bereich Datenschutz. Die öffentliche Verwaltung verarbeitet besonders schützenswerte, sensible Daten – und unterliegt entsprechend strengen gesetzlichen Vorgaben. Wo sich die Rechenzentren befinden, die diese Daten verarbeiten, ist dabei ebenso entscheidend wie die Frage, ob und wie sicher diese Systeme sind. Darüber hinaus benötigen wir eine zuverlässige, digitale Datenbasis – qualitativ hochwertig, robust und vollständig. In der Praxis stoßen wir jedoch häufig auf heterogene Datenlandschaften – mit unstrukturierten Formaten, fehlender Standardisierung und eingeschränkter Interoperabilität. Je besser die Datenqualität, desto wirksamer der KI-Einsatz – und desto geringer der manuelle Nachbereitungsaufwand. Aber: Die Herausforderung ist nicht nur technischer Natur. Der erfolgreiche KI-Einsatz erfordert auch einen kulturellen Wandel innerhalb der Verwaltung. Es gilt, Vorbehalte abzubauen, Akzeptanz zu schaffen und Veränderungsbereitschaft zu fördern. Das gelingt nur mit klaren Change-Prozessen, gezielter Kommunikation und qualifizierenden Maßnahmen.

Wie gelingt dieser Wandel am besten?

Philipp Böhnlein: Durch einen menschenzentrierten Ansatz, der den Wandel nicht überrollt, sondern begleitet. KI ist ein Werkzeug – aber ohne Menschen bleibt es wirkungslos. Sie ersetzt nicht, sie unterstützt. Das muss klar und frühzeitig kommuniziert werden. Um Innovationsfähigkeit im Alltag zu erproben, bieten sich Pilotprojekte direkt in den Fachbereichen an – dort, wo die Technologie tatsächlich zum Einsatz kommen soll. Diese Projekte sollten bewusst niedrigschwellig angelegt sein und in der Sprache der Verwaltung konzipiert werden. Workshops und Schulungen sind dabei zentrale Elemente, um Mitarbeitende mitzunehmen, ihre Fragen zu klären und sie im praktischen Umgang mit KI zu befähigen. Ebenso wichtig: die Sorgen vor möglichem Missbrauch ernst zu nehmen. Jede neue Technologie birgt Risiken – aber es ist unsere Aufgabe, diese verantwortungsvoll zu minimieren. Der EU AI Act schafft hierfür bereits einen wichtigen regulatorischen Rahmen. Wir als Unternehmen haben den dazugehörigen KI-Pakt bereits unterzeichnet. Jetzt gilt es, diese Prinzipien mit Leben zu füllen – durch Best Practices, konkrete Anwendungen und kontinuierliche Reflexion. So schaffen wir nicht nur Vertrauen, sondern sorgen auch dafür, dass Risiken beherrschbar und kontrollierbar bleiben.

Wie lassen sich konkrete Anwendungsfälle identifizieren?

Philipp Böhnlein: Der Startpunkt ist fast immer eine Reifegradanalyse, die den Status quo sichtbar macht. Dabei betrachten wir Faktoren wie Datenqualität, interne Strukturen, Prozesse und die technologische Infrastruktur. Denn nicht jede Organisation ist sofort bereit für den KI-Einsatz. Oftmals müssen bestehende Prozesse zunächst überarbeitet und optimiert werden – sonst besteht die Gefahr, ineffiziente Strukturen einfach nur zu digitalisieren. Anwendungsfälle ergeben sich häufig an den Schnittstellen – also dort, wo repetitive oder zeitintensive Tätigkeiten stattfinden. Die zentrale Frage lautet dann: Wo kann KI effektiv unterstützen – und welche Aufgaben möchte oder sollte eine Behörde bewusst auslagern oder automatisieren?

Wie genau unterstützt denn CGI auf dem Weg zur KI-Nutzung?

Philipp Böhnlein: Wir bieten gezielte Workshops an, in denen wir gemeinsam mit unseren Kunden den aktuellen KI-Reifegrad analysieren und konkrete Einsatzpotenziale identifizieren – beispielsweise im Rahmen von Ideation-Formaten oder Use-Case-Sessions. Dabei legen wir großen Wert auf Praxisnähe und Umsetzbarkeit. KI darf nicht als allwissende, unfehlbare Instanz wahrgenommen werden – diese Vorstellung ist nicht nur falsch, sondern gefährlich. Vielmehr geht es darum, die richtigen Fragen zu stellen – und das Potenzial der Technologie gezielt für Verwaltungsprozesse zu nutzen. Deshalb qualifizieren wir auch gezielt Endnutzerinnen und Endnutzer – etwa im Prompt Engineering – damit KI effektiv in den Arbeitsalltag integriert werden kann.

Wie wird sich die Verwendung künstlicher Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung entwickeln?

Philipp Böhnlein: Die Entwicklung wird dynamisch – und von Widersprüchen geprägt – verlaufen. Einerseits erleben wir, wie KI im privaten Alltag vieler Menschen zunehmend selbstverständlich genutzt wird – ChatGPT ist nur eines von vielen Beispielen. Andererseits ist die öffentliche Verwaltung bei der Digitalisierung noch immer im Rückstand. Gerade hier aber liegt enormes Potenzial. Denn wenn wir die digitalen Fähigkeiten, die Bürgerinnen und Bürger bereits aus ihrem Alltag kennen, auch in der Verwaltung nutzen, senken wir die Zugangsbarrieren erheblich. Wie schnell der flächendeckende Rollout gelingt, bleibt abzuwarten. Mein Wunsch ist klar: Je schneller, desto besser – denn der Bedarf ist riesig.

Vielen Dank für das spannende Interview!