Agenten umweht spätestens seit den legendären 007-Filmen die Aura des Gefährlichen und Geheimnisvollen. Agentic AI ist da-gegen auf eine ganz andere Art spektakulär, stellt sie doch eine ganz neue Qualität Künstlicher Intelligenz dar. Während analyti-sche, prädiktive und generative KI noch primär als Werkzeuge zur Effizienzsteigerung begriffen werden konnten, haben wir es bei Agentic AI mit teilautonomen, eigenständig agierenden Systemen zu tun.
Mehr Autonomie
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal ist dabei der Grad der Autonomie. Singuläre Anwendungen arbeiten häufig immer noch regelbasiert, beispielsweise als spezialisierte KI mit Sprach-Interface für themenspezifische Antworten. Menschliche Unterstüt-zung und Kontrolle sind dabei unverzichtbarer Teil des Systems. Anders ist das bei verknüpften Agenten. In einer Multi-Agent-KI-Umgebung sind mehrere KI-Agenten in einem teilautonomen Ver-fahren mit einem Chef-Agenten verbunden. Dieser Orchestrator ko-ordiniert, steuert und überwacht die Teilfunktionen. Solche agenti-schen Netzwerke sind zwar komplex, aber immer noch durch menschliche Eingriffe beeinflussbar.
Agentic AI geht noch einen entscheidenden Schritt weiter. Hier kommunizieren die Agenten nicht nur eigenständig untereinander, sondern auch mit anderen Systemen. Das können interne Software-Lösungen oder Datenbanken sein, aber auch externe Systeme. Auf dieser Komplexitätsstufe erfolgt die Entscheidungsfindung und -ausführung ohne menschliche Eingriffe
Höhere Automatisierungsgrade
Die Entwicklung geht eindeutig in die Richtung, Agentensyste-me immer selbstständiger zu machen. Dahinter steckt das Ziel ei-nes höheren Automatisierungsgrades von Workflows und Prozes-sen mit all den damit verbunden positiven Effekten wie schnellerer und zielsicherer Entscheidungsfindung, Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen.
Doch um diese angestrebten Ziele in der Praxis auch wirklich zu erreichen und erfahrbar zu machen, sind vorher einige Hausaufga-ben zu machen. Mit dem Einsatz von Agentic AI allein ist es nicht getan, vorher müssen die praktischen Voraussetzungen für auto-nome Systeme geschaffen werden. Sie sind darauf angewiesen, miteinander „sprechen“ können. Das aber ist nur dann möglich, wenn sie die dafür relevanten Informationen aus anderen Systemen herauslesen, evaluieren, analysieren und verstehen können.
Die typischen Spielverderber
Eines der größten Hindernisse ist dabei in der Regel die interne IT-Infrastruktur mit ihren solitären Legacy-Systemen und proprietä-ren Schnittstellen. Sie sind auf diese Form agentischer Kommunika-tion meist nicht ausgelegt. Daher sind oft tiefgreifende Eingriffe not-wendig, um diese zuzulassen. Die zweite Hürde ist die unzu-reichende Datenbasis. Dabei geht es oft gar nicht um die Datenqua-lität selbst, sondern um die Zugriffsmöglichkeiten darauf. Ohne die-se Informationen aber kann Agentic AI mit seinen generativen Sprachmodellen nicht vernünftig arbeiten.
Gleichzeitig sind all die rechtlichen und ethischen Fragen hin-sichtlich der Sicherheitsrisiken, Verantwortlichkeiten, Governance, Transparenz und Haftung zu beantworten. Was passiert beispiels-weise, wenn bei der Nutzung des Servicemodells eines externen Anbieters etwas schiefläuft? Wie sind Erklärbarkeit und Nachvoll-ziehbarkeit von Maßnahmen geregelt, die von Agentic AI getroffen werden? Und wie ist sichergestellt, dass sie nicht manipulierbar sind? All diese Fragen sind vorab zu klären.
Schritt für Schritt zum Agenten
Die Einführung und Nutzung von Agentic AI stellt für Unterneh-men eine tiefgreifende Transformation dar. Erfolgt sie als „Big Bang“, ist ein Scheitern angesichts der damit verbundenen Aufga-benfülle quasi vorprogrammiert. Sinnvoller ist ein iteratives Konzept, bei dem Agentic AI schrittweise im Rahmen überschaubarer Projek-te eingeführt wird. So können erste Erfahrungen gemacht werden, die schnelle und positive Effekte versprechen.
In der Telekommunikationsbranche kann Agentic AI unter ande-rem dabei helfen, Kundenanfragen automatisiert zu verstehen, zu priorisieren und an die richtigen Stellen weiterzuleiten. In der Logis-tik ist sie dafür prädestiniert, durch systemübergreifende Verbin-dungen Lagerbewegungen, Lieferketten und Routenplanung auto-nom zu koordinieren, und dabei auch Dienstleister einzubeziehen.
Im Versicherungswesen dagegen bietet sich die Nutzung von Agentic AI unter anderem für das Erkennen von Betrugsfällen an, etwa ob Bilder von Schadensfällen nachbearbeitet wurden, um dann den gesamten Prozess von der Schadensmeldung bis zur Auszahlung oder Ablehnung eines Anspruchs zu automatisieren. Mit dem Ernten solcher „Low-hanging-fruits“ sind schnelle Mehrwert realisierbar, und die dort gemacht Erfahrungen meist auch auf an-dere Business Cases übertragbar.