World Café, Prototyping & Co. – auch der öffentliche Sektor setzt auf neue Innovationsmethoden. Andreas Rathgeb, Senior Vice President Consulting Services & Industry Lead Public Sector Deutschland von CGI, und Tobias Koch, langjähriger Director Consulting Services von CGI in Estland, erklären in der neuesten Folge des Podcasts „Building a Digital Nation“, worauf darüber hinaus geachtet werden muss. Und Podcast-Gast Dirk Kiefer von CGI mahnt: Man darf heute nicht alle IT-Ressourcen binden, denn die Probleme von heute sind nicht die Probleme von morgen. Moderiert wird die Folge von Aline-Florence Buttkereit.

 

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Hier folgt ein Transkript der fünften Folge des Podcasts „Building a Digital Nation“: 

Herzlich willkommen zum Podcast „Building a Digital Nation“, Insights für Bund, Länder und Kommunen. Wir besprechen hier Themen rund um Digitalisierung im öffentlichen Sektor. Uns interessieren Antworten zu Technologien, Menschen und Methoden. Wo steht Deutschland mit der Digitalisierung? Wieso ist Estland schon weiter? Wen und was braucht ein digitaler Staat in der Zukunft und wie können beide Nationen voneinander lernen?

In dieser Folge dreht sich alles um das Thema, wie man erfolgreich digitalisiert. Wir sprechen über Strategien, Herangehensweisen, Methoden und vor allem auch darüber, wieso Digitalisierung nicht ohne Kulturwandel, Haltung und einer flexiblen Anpassung funktioniert. Dafür erweitern wir diesmal die Runde um die Ansichten von Dirk Kiefer. Er ist Experte für die öffentliche Verwaltung und wir erläutern mit seiner Hilfe vier Dimensionen für erfolgreiche Strategien und auch ihre Umsetzung. Nun starten wir aber erst einmal mit den bereits bekannten Spezialisten aus der Runde.

Andreas, 20 Jahre Erfahrung in der IT-Branche ist eine ganze Menge. Da fängt es in meinem Kopf ganz schön an zu rattern, wenn ich mir vorstelle, was du alles an Trends, Methoden, Herangehensweisen und Entwicklungen neuer Themenfelder erlebt haben musst. Beispielsweise Veränderungen, Produktentwicklungen und die Verbindung menschlicher Verhaltensweisen und Bedürfnisse mit der Technologie. Technologie ist nicht einfach nur Technologie, sondern es hat mit uns als Menschen zu tun, weil sie uns ja im besten Fall das Leben vereinfachen und irgendwie verbessern kann. Gab es in deiner Karriere irgendeine Methode oder Herangehensweise, die dich besonders beeindruckt hat oder über die du sagst, die hat echt was verändert?

Andreas Rathgeb: Von meinen 20 Jahren in der IT sind die letzten zehn Jahre aus dem öffentlichen Sektor. Und da war der Übergang ganz spannend. Es gab sehr viel, was ich dabei gelernt habe in der ersten Zeit, was ich dann übernehmen konnte. Als wichtige Methode und als Methode, die ich immer wieder als Icebreaker ein Stück weit auch als etwas, was initial sehr, sehr viel aufbrechen kann, erlebt habe, ist tatsächlich das World Café. Die Methode wird idealerweise beispielsweise dann eingesetzt, wenn man so etwas wie eine große Strategie ausarbeitet, viele Menschen zusammenbringt und auch mitnehmen will. Dann ist es ideal, diese Methode zum Einsatz zu bringen.

Wie läuft das ab?

Andreas Rathgeb: Es ist so, dass es viele Teilnehmer gibt. Man bereitet einen großen Raum vor, hat verschiedene Tische. Es werden erst mal Fragestellungen bearbeitet, dafür hat man immer eine feste Zeit. An jedem Tisch wird eine Fragestellung bearbeitet und man wandert sozusagen durch den Raum in zufälligen Gruppen und bringt diese Fragestellung immer weiter und bringt sozusagen das Wissen aller ein, ohne in einer großen Diskussion zu sein.

Die ja auch schnell mal durcheinander gerät.

Andreas Rathgeb: In der Tat. Deshalb wird in vielen kleinen Runden diskutiert. Man bekommt dann immer eine weitere Fragestellung noch dazu, die das sozusagen dann zu einem Ziel führen kann. Also ich kann dafür nur an der Stelle werben. Funktioniert wirklich sehr, sehr gut. Was ich noch erzählen will: Wir sind heute so weit, dass ich den Anspruch habe, mit der öffentlichen Hand in der Digitalisierung führend werden zu wollen. Also das heißt, das ist nicht die Branche, die irgendwie hinterherkommt, sondern die Branche, die es quasi ermöglicht, dass alle anderen die nächste Stufe erreichen können bei der Digitalisierung.

Noch mal zum World Café: Es ist eine Herangehensweise, viele Perspektiven bei einer Strategieentwicklung reinzubringen. Also vielleicht nicht wie früher, wo sich nur Geschäftsführer und vielleicht noch ein Berater eingeschlossen haben und dann kam man mit dem großen Wurf heraus, sondern man bezieht mehr Menschen mit ein. Generell hat sich die Perspektive, die Herangehensweise gewandelt. Tobias, bei dir sind es fünf Jahre Erfahrung in dem Bereich Digitalisierung des Public Sectors. Gibt es denn bei dir vielleicht auch einen Favoriten, über den du sagst, das fandest du richtig besonders und spannend?

Tobias Koch: Ja, auf jeden Fall. Allgemein habe ich einen, würde ich sagen, sehr interdisziplinären Hintergrund. Ich bin ja Politikwissenschaftler und habe auch internationales Recht studiert, arbeite jetzt aber in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Und was ich vorher vielleicht nicht für möglich gehalten hatte, ist, dass es ein Weg ist, den die Karriere nehmen kann. Heute sehe ich das eher als einen Vorteil, dass diese verschiedenen Perspektiven zusammenkommen. Und ich sehe in Estland, aber auch allgemein, diesen Trend, dass diese verschiedenen Disziplinen, die sich sehr stark aufeinander beziehen, helfen können und Perspektiven bereichern. Und ich sehe das insbesondere im Bereich der Digitalisierung, dass es unheimlich wichtig ist. Methodiken, die mir besonders gefallen, mit denen ich mich relativ viel in der letzten Zeit und in den letzten Jahren beschäftigt habe, sind Rapid Prototyping und Design Sprints. Das sind die Dinge, bei denen man eben nicht nur IT-Fachkräfte, die halt Experten sind in der Entwicklung von Systemen etc., oder nicht nur Designer oder nicht nur Business-Leute zusammenbringt. Dass tatsächlich all diese zusammenkommen, Experten auf ihrem Gebiet sind und erstmal versuchen zu verstehen, was sie lösen wollen, was für uns Priorität hat – das ist das Besondere. Da auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen und dann sich Schritt für Schritt in Richtung eines Prototypen zu bewegen und diesen Prototypen zu testen und auch mit Nutzern zu testen. Dann, wenn man genug Input gesammelt hat, sich auch in die Entwicklung begibt. Das finde ich unheimlich erfrischend, dass da diese ganzen Perspektiven zusammenkommen und daraus dann neue Ideen, neue Herangehensweisen geboren werden.

Passt ja auch sehr gut zu Estlands Probiergeist, den du in den letzten Folgen auch schon immer wieder durchscheinen hast lassen. Eben nicht die große Produktentwicklung, wie das Produkt schon im Einzelnen aussehen soll, sofort von Anfang an zu verfolgen, auch nicht im Wasserfall zu arbeiten, wo man oben was reinkippt und unten am Ende was rauskommt, sondern dieses iterative, also schrittweise Vorgehen. Wir sprechen ja in der heutigen Folge darüber, wie man digitalisiert. Das heißt, wir beschäftigen uns auch damit, mit welchen Vorgehensweisen, Methoden und strategischen Ausrichtungen Digitalisierung angegangen werden sollte. Und an der Stelle holen wir uns für heute einen weiteren Verwaltungsexperten dazu, dessen Perspektive uns durch die ganze Folge begleiten wird. Das ist der Dirk Kiefer. Dirk ist Experte für Verwaltungsdigitalisierung. Seit einigen Jahren ist er schon bei CGI Deutschland und arbeitet dort auch mit Kunden im öffentlichen Sektor zusammen, sowohl auf Kommunal- als auch auf Landesebene. Und interessant ist auch, dass er selber vorher knapp 20 Jahre in der öffentlichen Verwaltung gearbeitet hat und davon viel im Bereich rund um Innovation. Das heißt, da sind ganz viel Hintergrundwissen und Beobachtungen da. Wir können damit aus zwei Perspektiven schöpfen. Dirk gibt uns jetzt einen Einblick, was es für erfolgreiche Digitalisierungsprojekte braucht und wie wichtig Methoden gleich zu Anfang eines Projektes sind.

Dirk Kiefer: Erfolgreiche Digitalisierungsprojekte brauchen zu allererst die Wahrnehmung, das Verständnis dafür, dass es eben mehr ist als Technologie. Dass eben ein Kulturwandel eintritt und der zu managen ist, dass organisatorische Veränderungen anstehen, die man begleiten muss und dass sich letztlich das Endergebnis, das ich liefern will, eigentlich ändern sollte, um die Möglichkeiten der Digitalisierung wahrzunehmen. Dieses Bewusstsein von Digitalisierungsprojekten, dass es eben nicht IT-isierung ist, sondern Digitalisierung und dass Digitalisierung viel mehr ist. Das ist sozusagen der erste Schritt. Dann ist es wichtig, dass man jetzt nicht sofort auf die einzelnen Methoden springt, die es gibt, die wir ja auch wirklich glücklicherweise seit vielen Jahrzehnten sehen, ich sage mal so die Dinge, die einem einfallen, Innovationslabore und Design Thinking. Es gibt ganz viele sehr etablierte, sehr erfolgreiche Methodiken, die man anwenden kann. Das ganze riesen Feld rund um Change Management. Das sind alles Aspekte, die sind zwingend mitzudenken und zu realisieren, wenn man erfolgreich digitalisieren will. Aber das ist aus meiner Sicht eigentlich der dann nächste Umsetzungsschritt, der erst kommen kann, wenn man grundsätzlich einen Rahmen setzt, in dem solche Projekte stattfinden müssen.

Dirk sagt also, die Methoden und wie man dann an die Sachen im Detail herangeht, ist gar nicht der erste Schritt, sondern kommt weiter hinten. Digitalisierung ist nicht nur IT-isierung, sie ist viel mehr als das, hat Dirk gerade gesagt. Andreas, stimmst du dieser Aussage zu und was ist Digitalisierung denn noch alles, wenn nicht nur die Einführung von Informationstechnologie.

Andreas Rathgeb: Also zur ersten Frage: Ich stimme Dirk 100 Prozent zu. Was es denn sonst ist? Es geht darum, zunächst mal diesen neuen Rahmen zu setzen für alle Vorhaben, die dann letztlich darunter als einzelne Digitalisierungsprojekte, Vorhaben, Ideen, Impulse umgesetzt werden. Und dieser Rahmen ist sehr viel weiter zu stecken. Er ist gleichzeitig auch nochmals flexibel, das heißt, er wird sich über die Zeit nochmals verändern. Das liegt daran, dass eben viele Dimensionen in der Digitalisierung angesprochen werden. Häufig erreichen wir dieses Stecken des Rahmens mithilfe einer ersten Digitalisierungsstrategie oder einer Fortschreibung einer Digitalisierungsstrategie. Aktuell treffen wir häufig darauf, dass schon Ideen da sind und diese Ideen dann nochmals besser zusammengefasst in ein besseres Bild gebracht werden, um so die Menschen, die dann daran arbeiten, im Idealfall mitzunehmen.

Gibt es noch weitere Punkte bei dem Aspekt, die Menschen richtig mitzunehmen?

Andreas Rathgeb: Dirk sprach ja davon, dass die Methoden erst danach kommen. Und Menschen mitnehmen, ist dadurch möglich, dass bestimmte Spielregeln vorher gelten, die ausgesprochen werden und das Leadership entsprechend dazu stimmt. Auch das muss wieder angesprochen sein, das heißt, es kann nicht nur irgendwo im Hintergrund verborgen sein, sondern es wird explizit ausgesprochen. So wird eine Atmosphäre geschaffen. Es wird ein Wissensstand für alle hergestellt, auch ein gemeinsames Gefühl versucht herzustellen, mit dem dann sozusagen erst im zweiten Schritt der echte Stab erfolgen kann. Die Multidimensionalität und auf welche Dimensionen ich initial dann stark setze, hängt davon ab, wie die Vorhaben, die die am drängendsten sind, dann unmittelbar umzusetzen sind. Häufig sind das in der Verwaltungsdigitalisierung eben Dinge, die mit, man könnte das tatsächlich IT-isierung nennen, zu tun haben. Also dass bestimmte Dinge erst mal überhaupt ins Elektronische, in die IT gebracht werden müssen. Davon sollten wir uns nicht zu stark leiten lassen und einfach einen Schritt immer weiterdenken. Genau mit diesem Aspekt Rahmen weiter setzen, auch einen anderen Ausgang zuzulassen.

Tobias Koch: Ich würde an der Stelle anschließen, dass Digitalisierung definitiv ein Stück Schaffung von Realität ist. Digitalisierung bedeutet für uns letztendlich, dass wir neue Werkzeuge an die Hand bekommen, die den Alltag der Menschen beeinflussen. Und IT-isierung impliziert letztlich, dass etwas getrennt ist von der Realität. Das ist halt so ein System, das vor sich hin existiert, wo irgendwelche Dinge bearbeitet werden. Aber letztendlich geht es ja darum, Wege zu finden, wie wir neu denken, neue Lösungen finden, neue Werkzeuge finden und wie wir diese Aufgaben in der komplexer werdenden Welt beantworten können.

Dirk hat ja auch das Thema Change Management anklingen lassen und das ist ja genau das, was ich gerade auch noch mal ein Stück weit unterstrichen habe. Den Menschen eben auch mitzunehmen. Change Management ist ja genau das, bei dem wir nicht sagen, dass es so für sich selbst steht, sondern es begleitet. Es ist natürlich eine weitere Methode, aber es ist eben auch, wie du gesagt hast, Andreas, erst der zweite Schritt, bei dem man dann auch schaut, wenn man weiß, wo es hingeht, wie ich jetzt die Menschen in diesem Verlauf auch mitnehmen kann. Dafür braucht man einen Verlauf und man braucht eine Strategie. Tobias, in Estland, das haben wir jetzt in mehreren Folgen gehört, ist ja diese Lust, einfach mal auch auszuprobieren, sehr stark. Und wenn man ausprobiert, dann gelingt ja auch nicht immer alles. Wie ist das so mit dem Mindset dann in Estland, wenn es um Scheitern geht?

Tobias Koch: Das gehört definitiv dazu. Ich finde allgemein, wenn man sich in Tallinn oder auch in anderen Städten so umguckt, dann sieht man, dass nicht immer alle Dinge fertig sind. Sondern man sieht da, dass Dinge sich kontinuierlich in der Gesellschaft verändern. Also nicht nur über Digitalisierung sprechend, sondern dass man sich kontinuierlich dafür einsetzt, dass neue Strukturen geschaffen werden, Dinge verbessert werden. Es dauert alles seine Zeit. Manche Dinge funktionieren nicht so richtig und das ist aber auch vollkommen legitim. Das heißt, dass Dinge scheitern, natürlich auch in Estland. Auch große Projekte sind gescheitert in der Verwaltungsdigitalisierung. Insbesondere im Sozialwesen gibt es da das eine oder andere, was schiefgelaufen ist. Und natürlich gibt es da viel Kritik. Ich meine, es geht um Steuergelder, die dann letztendlich dabei verloren gehen. Und die Dimensionen Estlands sind da noch mal andere Dimensionen als in Deutschland, wenn da mal irgendwie was schief geht. Aber es sind natürlich auch für ein kleines Land mehrere Millionen Euro, die dann irgendwie verloren gegangen sind, halt schon ein großer Faktor. Das heißt, da gibt es natürlich viel Kritik, aber es hat auch niemand den Glauben, dass alles auf den ersten Versuch immer klappt. Das Wichtige ist also, dass es wirklich versucht wird, das dann beim nächsten Mal besser zu machen. Und das nächste Mal vielleicht diese Learnings, die man dann aus dem gescheiterten Versuch erlebt hat, letztendlich mitzunehmen. Das sieht man allgemein nicht nur in der Verwaltungsdigitalisierung. Allgemein ist Estland bekannt als Start-up-Hub. Das heißt, es wird sehr viel getan, um Menschen mit Ideen zu fördern, ihnen letztendlich Werkzeuge an die Hand zu geben, ihre eigenen Unternehmen zu gründen und so unseren Alltag zu verändern mit neuen Ideen, neuen Geschäftsideen etc. Da wird ja auch viel gescheitert. Da sind viele Ideen, die vielleicht ihrer Zeit voraus sind, viele Ideen, die nicht wirklich durchdacht sind und dann keinen Markt finden. Aber das ist halt so, da könnte man mit vielen estnischen Gründern und Gründerinnen sprechen, die dir dann sagen: Wir machen weiter. Und ehrlich gesagt macht diese Umgebung halt wirklich auch Lust auszuprobieren. Und mir persönlich, ich hatte das ja vorher auch schon erwähnt, mit dem Hintergrund, den ich habe, jetzt in der IT zu arbeiten, auch Verantwortung zu tragen etc., wird diese Verantwortung tatsächlich auch an die Hand gegeben. Also wird dir vertraut und man setzt voraus, du wirst da dein Bestes geben. Das ist halt dann das, was letztendlich zählt. Also dieses Mindset ist sehr wichtig.

Das Mindset, das wir gerade angesprochen haben, wird ja auch Trial-and-Error-Ansatz genannt. Also ausprobieren und Error im Sinne von Scheitern oder eben auch weiterkommen. Wobei das eine das andere nicht ausschließt. Andreas, so ein Mindset in der deutschen Verwaltung zu etablieren, stelle ich mir sehr schwierig vor. Trotzdem braucht es ja vielleicht auch hier Strategien, diesen Trial-and-Error-Ansatz auch in irgendeiner Form in Deutschland im Public Sektor auszuleben. Gibt es da vielleicht andere Umgebungen, wie Tobias das gerade so schön gesagt hat, wo wir diese Lust auszuprobieren auch hier irgendwie implementieren können?

Andreas Rathgeb: Vielleicht darf ich vorher erst noch ergänzen: Zu diesem Trial-and-Error kommt noch mal ein weiterer Aspekt dazu, der sehr wichtig ist und über den es sich lohnt, noch mal ein bisschen nachzudenken, das frühe Scheitern. Also, das heißt, man lässt zu, dass ein Weg gegebenenfalls falsch ist. Das kann ein Projekt sein, das man startet und man lässt einen Abbruch zu. Jetzt speziell in die öffentliche Verwaltung übertragen: Ich fahre politisch dieses Projekt nicht weiter, obwohl ich weiß, dass es eigentlich gescheitert ist oder dass wir eigentlich einen Punkt setzen müssten, sondern ich lass es zu, dass eben tatsächlich ein früher Abbruch dann auch erfolgt. Aus dem, was man erlebt hat, wird dann gelernt und offen diskutiert. Dass sozusagen auch da wieder die Atmosphäre da ist, dass man das tun kann und daraus dann einen neuen Anlauf wieder generiert. Also das ist schon mal wichtig. Und Change Management ist tatsächlich eine große Veränderung. Was das helfen kann, aber auch den initialen Rahmen setzen, von dem ich gesprochen habe. Ist der Rahmen so gesetzt, ist es auch ausgesprochen, ist in der Leadership, also in der Führung der Teams, die da tätig sind, erprobt, reingebracht und tatsächlich auch erlebbar. Dann glauben alle Beteiligten auch daran und lassen sich darauf ein und handeln auch so. Also da ist der Aspekt sehr wichtig. Und wo sehen wir das Ganze heute schon? Vielleicht hat der eine oder andere schon von Innovationslaboren gehört, die sind genauso aufgesetzt. Die haben häufig auch tatsächlich einen Laborcharakter im Sinne von, ich gebe dem Ganzen auch noch einen Ort, wo das stattfindet und mache dort einzelne Prototypen, viele parallel und bring dort Menschen zusammen. Natürlich wollen wir Steuergelder richtig einsetzen und jeder Euro soll eben auch eine Wirkung entfalten, gehe aber bewusst hier dran und sag: Ich möchte einen gewissen Prototyp sehen und weiß, was ich aus dem Prototyp nachher mitnehme. Dieses Lernen geht insofern auch in die Verwaltung rein auf Bundesebene, beispielsweise um die Methodiken an die Beschäftigten auch zu vermitteln mit der Digital Academy des Bundes als ein Beispiel von ganz, ganz vielen, die wir hier nennen können. Was ich immer ganz spannend finde, ist, wenn man auch noch mal die lokale Start-up-Szene dazu bringt. Da gibt es auch viele Beispiele. Wir engagieren uns bei CGI auch dafür, genau diese Verbindungen herzustellen. Weil damit bringe ich verschiedene Akteure zusammen und schaffe es auch, das, was die öffentliche Hand vielleicht mit einem Digitalisierungsprojekt als Basis, als Plattform schafft, direkt auch nutzbar zu haben für ein weiteres Geschäftsmodell, das ein Start-up entsprechend weiterentwickeln kann.

Gucken wir noch mal etwas konkreter auf das „Wie“ bei so richtig großen Digitalisierungsprojekten, in die ja CGI auch immer wieder eingebunden ist und eine wichtige Rolle spielt bei den Kunden. So große Digitalisierungsprojekte, die erstrecken sich ja oft in ihrer Realisierung wirklich über Jahre. Also da reden wir jetzt nicht von einem Jahr oder zwölf Monaten, sondern das können je nach Thema, bis zu sieben Jahre sein. Dirk Kiefer sieht hier vier Dimensionen für eine erfolgreiche Herangehensweise in Digitalisierungsprojekten, die im Kern so ein Stück weit einen Perspektivwechsel und einen damit einhergehenden Kulturwandel auch beschreiben. Und die möchte ich jetzt einfach mal nacheinander mit euch durchgehen, weil ich total gespannt darauf bin, was eure Perspektive zu diesen Dimensionen ist. Könnt ihr das unterstützen oder seid ihr anderer Meinung? Und ja, ich würde sagen, da fangen wir einfach mal mit der ersten Dimension an.

Dirk Kiefer: Das Erste ist from Business to IT. Wir müssen weg von dem Gedanken, fachliche Anforderungen spezifizieren zu können und dann zu erwarten, dass die IT diese löst. Also sprich dieses Mantra: Die IT realisiert das, was die Fachseite braucht, muss man eigentlich umdrehen in der Situation. Nicht weil es verkehrt ist, sondern weil, wenn man so vorgeht, die Komplexität irgendwann nicht beherrschbar ist. Weil es eben nicht nur ein oder zwei oder drei Ansprüche sind, die die IT realisieren muss, sondern hunderte, tausende. Man denkt nur an die vierstellige Zahl von Fachverfahren, die in großen Kommunalverwaltungen laufen. Wenn man die jetzt wirklich im Sinne einer vollständigen Digitalisierung bündeln wollen würde, ist es fast aussichtslos, weil es einfach zu viele sind. Die Abhängigkeiten lassen sich nicht mehr beherrschen. Das heißt, die Antwort hier ist Standardisierung und der fachliche Nutzen, der muss sich nach den digitalen Möglichkeiten richten.

From Business to IT, hat Dirk gesagt und fordert hier ganz klar eine Änderung in der Erwartungshaltung. Also wir müssen weg von dieser Haltung, fachliche Anforderung spezifizieren zu wollen, die dann die IT löst. Andreas, das ist jetzt schon ein bisschen komplex. Was genau meint Dirk damit und wie siehst du das?

Andreas Rathgeb: Vielleicht mache ich das an einem Beispiel klar. Wir denken an ein großes Fachverfahren, wo am Ende des Tages viele Beschäftigte dran sitzen werden, in der Behörde viele Schritte dort in einer Anwendung letztlich bearbeiten und Vorgänge bearbeiten werden, wo wir Schnittstellen nach außen haben werden, wo sich Bürgerinnen und Bürger mit Anträgen daran wenden werden. Und vielleicht sind wir schon in so einer Welt, wo man dann auch jeweils einen Zwischenschritt sehen kann in einer dann digitalen Plattform. Das Bild hier wäre, dass alle Beteiligten eben nicht nur fein runter spezifiziert haben: Ich brauche genau an der Stelle den Button, ich brauche genau die einzelnen Funktionen an der Ecke, sondern ich brauche zunächst mal eine Gesamtfunktion, die ermöglicht, dass bestimmte Informationen ins Amt kommen. Ich brauche eine Bearbeitung, die zum Beispiel ein zügiges Abarbeiten ermöglicht und einen womöglich flexiblen Einsatz von Mitarbeitern intern. Und damit hebe ich eine gewisse Starrheit auf und bringe auf einmal andere Prinzipien rein. In dem Beispiel den flexiblen Einsatz von Mitarbeitenden, vielleicht einen Einsatz, bei dem derjenige, der das abarbeitet, gleich auch noch lernen kann dabei, also zum Beispiel Tipps bekommt oder ähnliches. Und diese Lösungen entstehen dann auf dem Weg dorthin. Lässt man das zu, baut man in der Art und Weise, dann kommt man tatsächlich dieser Idee eben „From Business to IT“ näher. Bilder dort entsprechend zu entwerfen, Problemstellungen nicht ganz fein herunter zu spezifizieren und das dann mit der agilen Methode entsprechend umzusetzen.

Wäre ja auch eine ganz schöne Herausforderung. Wenn ich mir jetzt überlege, je nach Stadt hier in Deutschland können das ja schon mal ein paar 10.000 Beschäftigte sein, wenn die dann alle mit ihren einzelnen Wünschen kommen, aus Referaten und Co. Das ist ja auch gar nicht handlebar. Deswegen ist der Ruf nach Standardisierung ganz wichtig. Tobias, jetzt ist Estland natürlich ein bisschen kleiner als Deutschland. Aber gibt es da diese Herausforderungen oder dieses Phänomen auch, dass man teilweise noch in dieser Denke festhängt: Ich komme jetzt mit meinen Spezifizierungen und die IT muss das dann lösen oder ist das bei euch schon anders?

Tobias Koch: Ich denke, dass da schon ein Umdenken stattgefunden hat, dass es auch von höchster Führungsebene so vorgegeben wird und durch diese Erfahrung von 20 Jahren aktiver Verwaltungsdigitalisierung da schon Verständnis dafür etabliert ist, dass es nicht einfach nur übergeben wird und die Entwickler dann schon machen. Allgemein sieht man das, wenn es tatsächlich so passiert, dass dann Systeme entwickelt werden, die nicht wirklich das wiedergeben, was ursprünglich angedacht war. Und deswegen ist natürlich dieses Umdenken sehr wichtig. Estland hat da seine Schlüsse daraus gezogen und hat jetzt gerade vor kurzem auch so einen sogenannten Werkzeugkasten für die öffentliche Verwaltung entwickelt. Dieser gibt letztendlich der Verwaltung auf kommunaler, auf staatlicher Ebene einen konkreten Prozess vor. Das ist unglaublich hilfreich für einen Produktmanager etc., der dann letztendlich diese Dinge abarbeiten kann und so dann nach einem gewissen Standardverfahren unter Berücksichtigung vieler Aspekte die entsprechende Entwicklung vorantreiben kann.

Trotzdem auch ein bisschen beruhigend, dass diese Auflösung von der Herangehensweise bei euch auch ein paar Jahre gedauert hat. Also, dass das auch nicht von heute auf morgen so passiert ist, sondern eine Entwicklung gewesen ist. Spannend finde ich auch den Aspekt, den wir in der letzten Folge auf jeden Fall auch noch beleuchten werden, inwiefern Leadership und Führungskräfte genauso wie die Politik auch da einen Anschub leisten können, so etwas quasi beidseitig von unten und von oben anzuschieben.

Tobias Koch: Wir sprechen ja tatsächlich über ein Umdenken, wir sprechen über das Change Management etc., ja.

Dann hören wir uns doch mal Dirks zweite Dimension an.

Dirk Kiefer: Die zweite Dimension für erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung ist „from Administration to Service“. An der Stelle muss man ganz klar sagen: Ich glaube, uns ist allen klar, dass wir Bürgerorientierung ganz vorne dran schreiben müssen. Nichtsdestotrotz reden wir bei der Verwaltungsdigitalisierung eben über „Verwaltungs“-Digitalisierung und denken eben nicht daran, dass am Ende eigentlich der Service das ist, was zählt, das ist, was hinten herauskommt. Mit anderen Worten: Wichtiger ist es, effektiv zu sein und zu werden als effizient zu sein und zu werden. Effizient ist nachrangig. Der beste effiziente Prozess ist für Bürgerinnen und Bürger nicht zufriedenstellend, wenn das Ergebnis besser sein könnte. Also letztlich dieser Perspektivwechsel von der Verwaltung auf das Ergebnis, von der Administration auf den Service ist an der Stelle wichtig und das ist für mich die Bürger/-innenorientierung, um die es uns ja gehen muss in der Verwaltung.

„From Administration to Service“ –  Dirk spricht hier an: Die Bürger bzw. die Services, die am Ende herauskommen, müssen in den Mittelpunkt rücken. Das haben wir hier auch schon ein paar Mal in den Podcast-Folgen erwähnt. Er fasst das unter der Beobachtung zusammen, dass es wichtiger ist, effektiv zu sein und zu werden als effizient zu sein und zu werden. Das ist sozusagen das Ziel. Andreas, kannst du damit etwas anfangen? Und wenn ja, uns das vielleicht noch mal ein bisschen greifbarer machen?

Andreas Rathgeb: Ich versuche es greifbar zu machen. Also wenn es um die Effektivität geht, wenn die Effektivität im Mittelpunkt steht, geht es um das Richtige tun und nicht die Dinge richtig tun. Denn das wäre ja die Effizienz, die wir dann im zweiten Schritt erst andenken. Und das Richtige tun mit der Fragestellung: Was ist denn das Richtige, was wir tun? Ich bringe da einfach auch ein, zwei Beispiele mit dazu. Wir erleben gerade, dass wir in verschiedenen Vorhaben gleiche Fragestellungen immer wieder neu lösen müssen, speziell bei der Verwaltungsdigitalisierung. Man kann sich vorstellen, es gibt einen Vorgang, bei dem am Ende des Tages eine Interaktion mit dem Bürger steht, der vielleicht etwas bezahlen muss oder Geld erhält. Es ist in der Tat so, dass das für viele Verfahren separat gelöst wird. In der Vergangenheit war das irgendwie nachvollziehbar, denn ich bin vielleicht aufs Amt gegangen und habe dann eben für den Vorgang bezahlt. Eine Gebühr wurde erhoben. Ich habe im Bürgeramt dann direkt bezahlt, habe das vielleicht auch mit Bargeld machen können, ich war ja vor Ort. Jetzt eben in einem digitalen Verfahren wird es notwendig, darüber nachzudenken, wie ich das im Verfahren abbilde. Und jetzt könnte ich es an der Stelle besser machen, also effizienter machen. Aber ich könnte insgesamt natürlich vielleicht ein Verfahren haben, wie Geld zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat vielleicht sogar auf allen drei Ebenen transferiert wird. Und ich könnte es vielleicht ein für alle Mal lösen und dann hätte ich tatsächlich das Richtige in den Mittelpunkt genommen. Das ist nicht sofort – das will ich gleich von vornherein sagen – ganz einfach machbar. Aber wir sprechen sehr, sehr viel darüber und bringen diese Prinzipien, an dem Beispiel ist es klar sichtbar, dass es ein starker, starker Umschwung wäre, rein, so dass die Entscheider und die Entscheiderinnen eben in der Weise hier mitgenommen sind und solche Lösungen dann auch anstreben.

Also sich quasi auch nicht so sehr beim Thema Effizienz mit den Prozessen, die in der Verwaltung ablaufen, damit mein Service funktioniert, aufhalten, sondern sozusagen das Mitdenken, aber eben gemünzt auf das Ergebnis. Also wie soll der Service aussehen? Was brauchen wir für effiziente Prozesse?

Andreas Rathgeb: Ein Bild hilft nochmals dabei. Und zwar, was mache ich denn mit dem Gewinn, wenn ich nachher ein digitales Verfahren habe, das vielleicht weniger Personaleinsatz benötigt? Was mache ich denn mit diesen Freiheitsgraden, die ich jetzt im Amt wiedergewonnen habe? Und es kann dann auch sein, dass das dann auf kommunaler Ebene, auf städtischer Ebene gedacht, vielleicht für eine direkte Interaktion mit den Bürgerinnen, mit den Bürgern oder mit Unternehmen genutzt wird, wo der direkte Austausch notwendig ist, weil eine besondere Hilfestellung notwendig ist, weil es eben nur in einem Dialog funktioniert. Und das digitale Verfahren dahinter hat mir das erst mal ermöglicht, weil ich Zeiträume geschaffen habe, weil ich die Freiräume geschaffen habe.

Tobias Koch: Ja, beziehungsweise man gewinnt dann vielleicht sogar diese Freiheit, etwas zu machen, was man schon immer mal machen wollte, was der Kommune vielleicht schon irgendwie seit Jahren irgendwie von Bürgern und Bürgerinnen ans Herzen getragen wurde. Und dann hast du dann halt auf einmal diese Flexibilität, tatsächlich darauf Ressourcen zu setzen, weil ein anderer Prozess im Hintergrund auf einmal automatischer läuft oder keine Person benötigt, die Informationen doppelt eingibt.

Da Estland ja schon so effektiv unterwegs ist, also im Sinne von Bürger und Bürgerinnen wirklich in den Mittelpunkt von Services auch zu stellen, seid ihr jetzt dann soweit, dass ihr euch wieder der Effizienz widmen könnt, also quasi den Prozessen und allem, was im Hintergrund ist?

Tobias Koch: Ich würde sagen, dass das fast sogar Hand in Hand geht, dass am Anfang tatsächlich irgendwie das Ziel gesetzt wird, einen neuen Dienst anzubieten, eine neue Leistung zur Verfügung zu stellen, aber damit gleichzeitig auch versucht wird, gewisse Ressourcen zu bündeln, um dann halt andere Schwerpunkte setzen zu können beziehungsweise einfach handlungsfähiger zu sein in anderen Bereichen. Estland ist ein inzwischen wohlhabendes Land. Aber es ist natürlich ein Land, das eine enorme wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen hat. Die Ressourcen sind nicht so großzügig gesät, wie wenn man sich Statistiken dazu anguckt in Deutschland. Deutschland ist ein deutlich wohlhabenderes Land, sodass das, glaube ich, von der Herangehensweise in Estland schon durchaus sehr eng zusammengehört und man da auch einen Schwerpunkt setzt.

Jetzt bleibt die Frage offen: Wie kommt man konkret dahin, im Sinne der Effektivität zu arbeiten? Also den Bürger in den Mittelpunkt zu stellen? Da hat Dirk Kiefer auch eine Idee dazu:

Dirk Kiefer: Die dritte Dimension von einer erfolgreichen Verwaltungsdigitalisierung ist, wegzugehen von dem Aufwand, den ich habe und den ich betreiben muss, um ein Ziel zu erreichen, hin zu dem Nutzen, den mir das Ziel verspricht. Es geht nicht um Digitalisierung, sondern es geht um sinnvolle Digitalisierung. Eigentlich geht es noch nicht mal um Digitalisierung. Es geht um eine Erhöhung des Nutzens am Ende. Und um den zu erreichen, muss ich vielleicht gar nicht die ganz großen Räder drehen. Vielleicht ist es manchmal schlauer, noch mal neu anzufangen und kleinschrittig vorzugehen in einer agilen Kultur. Nur dann können die Fehler, die in vielen Großprojekten angelegt sind, überwunden werden. Denn auch hier habe ich so viele Komplexitäten, dass die dann auch über Jahre vielleicht auch nicht mehr beherrschbar sind.

Dirks Ansicht ist also ein kleinschrittiges Vorgehen in einer agilen Kultur. Ist das das richtige Vorgehen Andreas, und wenn ja, warum?

Andreas Rathgeb: Ja, ich sehe das genauso. Vielleicht nochmals der Aspekt mit dem Purpose, mit dem Nutzen. Purpose oder die Nutzendiskussion hilft uns speziell im öffentlichen Sektor dabei, die Dinge richtig zu sehen, richtig anzupacken und hilft uns dann eben auch diese einzelnen Schritte korrekt zu gehen. Das ist nicht im Sinne von dem, was wir vorher hatten mit Effektivität und Effizienz, sondern das ist tatsächlich die Messgröße von außen. Und hier können wir uns vorstellen, wir machen diese Projekte und diese Vorhaben alle im Kontext einer Öffentlichkeit. Am Ende des Tages wird öffentliches Geld ausgegeben, werden öffentliche Mittel ausgegeben. Insofern passiert das nicht im Geheimen, was gemacht wird. Wir reden darüber, was wir tun, und wir vermitteln, dass es sinnvoll ist, das zu tun. Und das machen wir mit der Anzeige des Nutzens. So nehmen wir auch die Vertreter mit, egal ob das ein Gemeinderat ist, der vielleicht über ein kommunales Vorhaben abstimmt, ob das ein Landtag ist, der über ein Vorhaben auf Landesebene abstimmt oder ob das ein Bundestag ist oder ein Gremium, das da entsprechend beteiligt ist.

Tobias Koch: Ja, ich würde mich da anschließen mit einem Beispiel aus Estland, wie das tatsächlich auch hier in der Realität passiert und vorgelebt wird. Ich hatte in diesem Jahr die Möglichkeit, an einem Projekt für das estnische Wirtschaftsministerium mitzuarbeiten und das Projekt zu leiten. Und da ging es darum, eine Analyse für eine proaktive E-Government-Dienstleistung, die schon einmal vor zwei Jahren gemacht wurde, zu validieren, was da letztendlich rausgekommen ist. Also da gab es einen großen Plan, wie eine proaktive Government-Dienstleistung aussehen könnte und wir sollten das als CGI in einer Analyse mit den Nutzern und Nutzerinnen validieren, die zu dem ersten Zeitpunkt in dieser Strategiedimension noch nicht berücksichtigt wurden beziehungsweise nicht so berücksichtigt wurden, wie es eigentlich geschehen sollte. Und da wurde dann tatsächlich festgestellt, dass dieser große Plan, der da entworfen wurde, zu groß ist und gar nicht die Bedürfnisse der Nutzer und Nutzerinnen widerspiegelt, sodass wir einen kleineren Scope, einen kleineren MVP (Minimum Vialable Product, Form eines Prototypen) letztendlich entworfen haben und das dann jetzt in die Entwicklung gehen wird. Und ich glaube, das ist so schön, wie man halt letztendlich Schritt für Schritt vorgeht und ein Bedürfnis tatsächlich validieren kann mit den entsprechenden Nutzern und Nutzerinnen.

Andreas, auch in Großprojekten gibt es ja oft schon so angelegte Fehler oder Komplexitäten, so wie Tobias das gerade auch mit dem Beispiel in Estland erklärt hat. Würdest du das auch unterstreichen, dass so kleinschrittig vorgehen verhindern kann, dass man sich verliert oder dass auch am Ende der Nutzen dann irgendwie verloren geht auf dem Weg?

Andreas Rathgeb: Ja, in der Tat. Und das sieht so aus, dass aus dem großen Projekt, aus dem großen Vorhaben einzelne sinnvolle Komponenten entstehen, an denen separat gearbeitet werden kann. Separate Problemstellung, die idealerweise eben auch wiederum Business-Problemstellungen sind und eben nicht IT-Problemstellungen. Dadurch erreichen wir schon die Möglichkeit, die gesamte Problemstellung, die aus Großvorhaben besteht, in kleinere zu schneiden. Bei den kleineren schaffen wir es besser, die Menschen wieder mitzunehmen, die da dran mitwirken, schaffen eine ideale Lösung dort und schaffen dann gegebenenfalls, falls notwendig, auch ein frühes Scheitern und einen Neuansatz. Wir sind gerade an einem solchen Großvorhaben auch dran, wo noch mal eine Dimension mitkommt. Nämlich da gibt es einzelne Komponenten, indem wir es geschnitten haben, die sind tatsächlich auch noch gar nicht wissenschaftlich gelöst. Das heißt, da gibt es noch einen Aspekt, dass man tatsächlich auf Hochschulen und auf Forschung zurückgreift, die noch zu leisten ist. Wir wissen, wir haben dafür Zeit. Das Ganze ist in Summe auf zehn Jahre angelegt, aber diese Komponente dadurch, dass wir wissen, dass es dieses Element gibt in dem großen Vorhaben, wird nochmals ganz anders angegangen und gibt jetzt allen Sicherheit. Wir wissen, das ist die Komponente, das ist das Element und hier kommen nochmal ganz andere Herausforderungen dann rein. Aber das wird separat gelöst und wird dann im Zusammenspiel am Ende auch funktionieren.

Wir haben noch eine letzte Dimension, die vierte. Und die greift noch mal ein bisschen auch das Motto unserer Folge vier auf: Heute ist die Zukunft von gestern.

Dirk Kiefer: “From Today to Tomorrow”. Uns muss klar sein, dass die Probleme, die wir heute haben, voraussichtlich leider nicht die Probleme von morgen sind. Da gibt es wieder neue Themen, die wir bearbeiten müssen. Nicht nur deshalb ist es wichtig, ressourcenschonend vorzugehen. Es geht nicht nur um Nachhaltigkeit im Sinne des Gesamtzusammenhangs, sondern wenn ich heute alle meine verfügbaren IT-Ressourcen für die nächsten Jahre binde, um die Themen, die ich heute bearbeiten muss, zu bearbeiten, dann habe ich doch ganz klar ein Problem, wenn in den nächsten Jahren, und das ist absolut sicher, neue Probleme kommen, neue Herausforderungen und neue Anforderungen an die IT gestellt werden. Das heißt, eine Digitalisierung muss mitdenken, dass sie sich ständig ändern wird. Nicht nur, weil sich die digitalen Möglichkeiten vielleicht ändern, weil neue Innovationen dazukommen, sondern auch einfach, weil die Anforderungen an die Digitalisierung sich verändern. Also es geht eigentlich nicht um das abschließende Lösen von Fragen. Es geht nicht um Projekte, die ich von A nach B durchexerzieren und sie dann und wann abgeschlossen habe, sondern wir reden eigentlich über eine neue Phase, über eine Evolution, die stattfindet. Das, was ich heute mit Digitalisierung beginne, das werde ich aller Voraussicht nach niemals abschließen können, weil sich die Dinge immer wieder weiterentwickeln. Das muss man einfach berücksichtigen.

Einfach berücksichtigen. Das, was ich heute mit Digitalisierung beginne, werde ich aller Voraussicht nach nie komplett abschließen können, hat Dirk gesagt. Also ich finde, das klingt nach einem ganz schönen Horror für jeden Projektmanager. Andreas, ist das von Dirk jetzt eine Absage an die Digitalisierung?

Andreas Rathgeb: Eigentlich genau das Gegenteil. Es beschreibt vielleicht am besten, was Digitalisierung ist und weshalb wir damit jetzt anfangen oder vielleicht schon angefangen haben und weshalb jede erneute Schleife auf ein neues Level aufsetzt. Ganz einfaches Bild: Vor 20 Jahren haben wir uns vielleicht noch darüber unterhalten, wie ein Computer aussieht und wie komplex es ist, vielleicht ein Programm darauf zu installieren und solche Dinge. Heute denken wir gar nicht darüber nach, dass man mobile Geräte hat und dass die grundsätzlich im Internet hängen. Und es muss auch gar nicht jeder wissen, wie genau all diese Ebenen darunter schon funktionieren, dass es eben mobiles Internet gibt, dass es eben ein Gerät gibt, mit dem man per Touch vielleicht interagieren kann, und wir setzen darauf auf. Und so werden wir in ein paar Jahren auf Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz aufsetzen und danach werden wir wieder auf einem höheren Level aufsetzen. Damit wir in der Verwaltung auf etwas Höheres aufsetzen können, müssen wir eine gewisse Schleife durchlaufen und die werden wir dann wieder durchlaufen und wieder durchlaufen. Was ich auch jedem sage, wenn ich da einsteige in die Dimension, ist, dass ein gewisser Aspekt auch Geschwindigkeit ist. Die kommt damit ganz automatisch mit. Und es ist eine beschleunigende Tendenz. Wichtig ist, wir werden dort die Menschen nicht überfordern, wir sagen aber ganz klar, dadurch, dass ich auf immer höhere Levels aufsetze, habe ich darunter liegend letztlich viel, viel mehr schon als Basis und so funktioniert Digitalisierung in der Art und Weise. Eigentlich eine never ending story.

Never ending story. In Punkto Geschwindigkeit ist Estland, das haben wir jetzt mehrmals besprochen, auch schneller als Deutschland. Das hängt mit ganz vielen Dingen zusammen, und ihr seid auch schon sehr weit beim Thema Digitalisierung. Tobias, ist Estland denn schon am Ende angekommen?

Tobias Koch: Nein, definitiv nicht. Und ich glaube, dass das, was Dirk in seinem Beitrag gesagt hat, auch ein bisschen im übertragenen Sinne zu verstehen ist. Also das heißt natürlich nicht, dass ein Digitalisierungsprojekt von einer bestimmten Servicedienstleistung oder eine neue Servicedienstleistung in der Verwaltung jetzt einfach unendlich ist und einfach immer weiterläuft, sondern natürlich müssen Projekte abgeschlossen werden und eine Arbeitssicherheit letztendlich festgestellt werden. Aber das, was er – glaube ich – versucht zu sagen und was ich denke, ist letztendlich, dass eine Basis geschaffen werden muss, eine offene Basis, auf die in weiteren Schritten aufgebaut werden kann. Also dass man eine gewisse Flexibilität sich bewahrt, um neue Nutzerbedürfnisse, neue Technologien, die neue Dinge lösen können, letztendlich berücksichtigen zu können. Und das ist etwas, was man hier macht und was man auch an anderen Stellen viel macht, dass man immer weiter auf Entwicklungsschritte aufbaut. Die Verwaltung ist meines Erachtens eine Evolution, die die Verwaltung durchläuft. Und diese Evolution verändert sich also im Sinne der Definition von Evolution. Es ist halt eine ständige Veränderung, und der Charakter der Verwaltung verändert sich über die Zeit. Das ist so die Quintessenz, glaube ich. Das muss man ermöglichen.

Also geht es nicht um lauter lose Enden, sondern es geht eigentlich um das Akzeptieren von stetigem Wandel und Weiterentwicklung.

Tobias Koch: Richtig.

Dann kommen wir zum Abschluss. Dirk hat nun vier Dimensionen in einem Framework zusammengefasst, mit denen wir uns jetzt in der Folge beschäftigt haben. Braucht es denn in weiter Zukunft für das Thema „Building a Digital Nation“, wie ja auch unser Podcast heißt, eine fünfte Dimension? Und wenn ja, wie müsste die heißen und was wäre das?

Andreas Rathgeb: Diese vier Dimensionen bilden eigentlich die Basis. Aber wenn ich eine fünfte hinzufügen darf, dann würde ich tatsächlich die Lust an der Zukunft oder die Lust auf die Zukunft und den Spaß an Innovation noch dazu nehmen. Mit dieser grundsätzlichen Haltung daran sind wir über Purpose, also den Sinn dahinter, Effektivität und Effizienz darüber rausgekommen, dann sind wir noch mal auf einem ganz anderen Level. Das heißt, dass ich mir das gut quasi als Kreis drum herum vorstellen kann. Ähnlich haben wir das auch in unserem Framework von CGI mit reingebracht, im DigitalRadar (Visualisierungsplattform für Digitalisierungsprojekte).

Tobias Koch: Ich denke, die fünfte Dimension könnte die Bildung sein. Also mithilfe von Bildung, Bildungspolitik, Ressourcen, Ideen und letztendlich der nächsten Generation die Werkzeuge an die Hand geben, um tatsächlich selbstbestimmt und mit den Kenntnissen ausgestattet an die Gestaltung der Zukunft gehen zu können. Also wir haben über Interdisziplinarität gesprochen, wir haben über Agilität gesprochen, dass das Komponenten sind, die letztendlich in der Bildung berücksichtigt werden. 

Bleibt zum Abschluss zu sagen: Digitalisierung ist ein komplexes Thema, und am Ende macht's nichts, wenn's Spaß macht. Wir hoffen, Sie konnten einiges aus der Folge für Ihre nächsten Strategieüberlegungen mitnehmen. Haben Sie Fragen, Anregungen oder Kritik? Wenden Sie sich gerne an Andreas Rathgeb über LinkedIn oder schreiben Sie eine Mail an mailto:andreas.rathgeb@cgi.com.

Die nächste Folge widmet sich dem Thema Digitalisierung in der Justiz. Und da passiert schon mehr, als man vielleicht vermuten würde. In Estland ist die elektronische Gerichtsakte zum Beispiel schon vorhanden und voll in Benutzung. Wenn Sie jetzt neugierig auf mehr Details sind, nicht nur rund um die elektronische Gerichtsakte, sondern auch, was Technologien wie Machine Learning hier noch alles verändern können, dann freuen wir uns, wenn Sie uns Ihre Zeit und Ihr Ohr auch für Folge sechs schenken.