Carlo Petruschke

Carlo Petruschke

Director Consulting Services

Allen Wahlberechtigten sollte es in Deutschland gleichermaßen möglich sein, ihre Stimme abzugeben – unabhängig von individuellen Beeinträchtigungen, selbstbestimmt und ohne auf eine Vertretung oder Begleitung zurückgreifen zu müssen. Doch was wie eine Selbstverständlichkeit klingen mag, erweist sich in der Praxis als große Herausforderung. Für viele Menschen mit Behinderungen ist es auch heute noch beschwerlich, an Wahlen teilzunehmen. Das kann sich negativ auf die Wahlbeteiligung und damit auf die Demokratie auswirken. Die Digitalisierung bietet eine ideale Chance, dass Wahlen barrierefrei werden.

 

In Deutschland gibt es etwa 13 Millionen Menschen mit einer Beeinträchtigung – rund 8 Millionen davon sind schwerbehindert.1 Für viele von ihnen ist das Wählen mit großen Hürden verbunden. Wer beispielsweise auf einen Rollstuhl angewiesen ist, findet erst auf der Wahlbenachrichtigung die Information, ob das zugewiesene Wahllokal barrierefrei ist. Ist es dies nicht, kann ein Wahlschein für ein anderes Wahllokal beantragt werden. Das bedeutet nicht nur bürokratischen Aufwand, sondern auch, dass womöglich eine längere Strecke in Kauf zu nehmen ist.

Ausnahmslos alle Wahllokale räumlich barrierefrei zu gestalten, sollte eine hohe Priorität haben. Es müsste überall Zugänge für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen geben. Zudem müssten die Wahlkabinen mit dem Rollstuhl befahrbar und alles in erreichbarer Höhe angebracht sein.

Barrierefreiheit: bei Weitem nicht nur bauliche Maßnahmen

Für eine umfangreiche Inklusion müssen auch auditive, visuelle oder kognitive Barrieren abgebaut werden. Blinde oder stark sehbehinderte Menschen können bislang Wahlschablonen als Hilfsmittel nutzen, wenn sie ihre Stimme ohne Hilfe einer anderen Person abgeben möchten. Diese Schablonen müssen sie jedoch anfordern.

In einer inklusiven Welt würde es alle Informationen und Wahlunterlagen auch in Leichter Sprache, Braille, Gebärdensprache und Audioformaten geben. Selbstverständlich wären die Wahlhelfenden entsprechend geschult. Die Stimmabgabe wäre auch via Touchscreen mit Sprachsteuerung möglich oder mit einer Umfeldsteuerung für Querschnittsgelähmte. Die vielen Beispiele zeigen: Der Weg dorthin ist noch lang.

eVoting: die digitale Stimmabgabe im Wahllokal

Ein gutes Beispiel für die Verbindung von alten und neuen Möglichkeiten ist die digitale Stimmabgabe im Wahllokal, das so genannte eVoting. Zunächst gibt man seine Stimme als Vorauswahl über einen Touchscreen ab und druckt den ausgefüllten Wahlzettel in der Kabine aus, welcher zusätzlich einen QR-Code enthält. Ist alles korrekt, wirft man den Zettel in die Wahlurne, die diesen dabei scannt, sodass die Auszählung nach Schließung der Wahllokale fehlerfrei und einfach möglich ist.2

Mittels eVoting lässt sich ein inklusives und flexibles System der Stimmabgabe gestalten, da Hilfestellungen und technischen Assistenzen wie Leichte Sprache, Gebärdensprache, Audioformate und Umfeldsteuerung integriert werden können. Ganz nebenbei wäre zudem die Abbildung von anderen Sprachen möglich. Die digitale Stimmabgabe im Wahllokal kann somit nicht nur besonders inklusiv gestaltet werden, auch das Ergebnis bleibt dabei ständig unabhängig überprüfbar, da ein physischer Wahlzettel erhalten bleibt.

Online-Wahlen: sicher und barrierefrei

Ein weiterer Schritt Richtung selbstbestimmter und barrierefreier Wahlen wäre es, die Stimme online abzugeben. Bei der Entwicklung von Online-Plattformen lassen sich viele Arten der Barrierefreiheit berücksichtigen. Für Menschen mit Sehbehinderungen sind zum Beispiel eine Bildschirmlese- oder Text-zu-Sprache- Software hilfreich, während bei motorischen Beeinträchtigungen eine Tastaturunterstützung von Nutzen sein kann. Videos und Gebärdensprache unterstützen Menschen mit Hörbehinderungen. Leichte Sprache sorgt für ein einfacheres Verständnis, besonders auch bei kognitiven Beeinträchtigungen. Die Liste der Details, auf die geachtet werden kann, reicht bis zur Auswahl der Farben, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Farbschwäche oder Farbenblindheit abgestimmt sind. Die vielen verschiedenen Funktionen lassen sich miteinander kombinieren. So ist sichergestellt, dass die Online-Wahlen für alle zugänglich sind.

Dank der Digitalisierung rücken umfassend barrierefreie Wahlen erstmals in greifbare Nähe. Indem sie die Möglichkeiten zur Wahlteilnahme erweitert, kann die Digitalisierung nicht nur einen Beitrag zur Inklusion leisten, sondern auch zu einer höheren Wahlbeteiligung führen.

Sicherheit und Integrität müssen dabei stets gewährleistet sein, damit die Menschen Vertrauen in das System haben. Verschlüsselungstechnologien und sichere Authentifizierungsverfahren sind unabdingbar. Wichtig ist aber auch, dass keine neuen Barrieren geschaffen werden. Menschen mit begrenztem Zugang zu Technologie müssen Berücksichtigung finden. Wer Schwierigkeiten hat, Computer oder mobile Geräte zu bedienen, braucht Unterstützung. Vor allem aber muss es weiter alternative Abstimmungsmöglichkeiten geben. Was sich in der Praxis bewährt hat, sollte erhalten bleiben, aber Neues integriert werden. Die Online-Wahl kann immer nur als zusätzliches Angebot verstanden werden.

Eine große Herausforderung bei der Umsetzung der digitalen Möglichkeiten besteht in den derzeit geltenden rechtlichen Bestimmungen. Unter anderem muss der „Grundsatz der Öffentlichkeit“ stets gewahrt werden. Der Einsatz digitaler Wahlgeräte ist demnach nur zulässig, wenn es den Bürger:innen möglich ist, die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung zu überprüfen.3 Der Anspruch an die Transparenz einer Wahl darf jedoch nicht wichtigen inklusiven Maßnahmen entgegenstehen. Vielmehr gilt es die jeweiligen Anforderungen miteinander in Einklang zu bringen. Neue Technologien wie das zuvor erwähnte eVoting haben das Potenzial, die relevanten Voraussetzungen zu erfüllen. So kann es zahlreichen Menschen mit Behinderung ermöglicht werden, eigenständig und selbstbestimmt am politischen Geschehen teilzuhaben. Ein weiteres Best-Practice-Beispiel für ein spannendes Projekt zum Thema digitale Barrierefreiheit der CGI: CGI InclusiveNet: Das barrierefreie Behörden-Intranet

 


 

1 Vgl. Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen: „Barrierefreiheit – von Beginn an“, https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/AS/schwerpunkte/barrierefreiheit/barrierefreiheit-node.html#doc28374bodyText1 (letzter Zugriff: 01.06.2023)

2 Video: Hoe stemt u digitaal? | Vlaanderenkiest.be (letzter Zugriff: 01.06.2023)

3 Bundesverfassungsgericht: „Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig; Pressemitteilung Nr. 19/2009 vom 3. März 2009“ https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2009/bvg09-019.html;jsessionid=B6BCF36A23C9F2642DB703073D60568E.internet942 (letzter Zugriff: 01.06.2023)

 

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Carlo Petruschke verstärkt unser Engagement im Bereich des öffentlichen Sektors . Kunden berät er in strategischen Themen im IT-Service-Management-Umfeld sowie bei konzeptionellen Fragestellungen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind dabei Digitalisierungsmöglichkeiten in der Verwaltungsarbeit zu identifizieren und zusammen mit unseren Kunden zu implementieren. Aufgrund ...