Christof Krameyer, CGI

Christof Krameyer

Vice President Consulting Expert

Wenn ein Bürger die 110 wählt, landet er schon heute in Einsatzzentralen mit modernster Technik. Das Potenzial ist hier aber bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Nachdem die Einführung des Digitalfunks im Zeitraum von 2006 bis 2014 bereits eine Welle der Erneuerung durch die Leitstelleninfrastruktur von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst gebracht hat, werden die Einsatzleitsysteme der Zukunft noch viel intelligenter und unterstützen immer stärker dabei, schnell am Unfallort zu sein oder Verbrecher zu jagen.

Ein wesentlicher Aspekt ist die verstärkte Unterstützung der Disponenten durch Geoinformationssysteme, um das Einsatzaufkommen bewältigen zu können. Dabei geht es nicht nur darum, dass der Standort des Anrufers auf einer Übersichtskarte eingeblendet wird. Vielmehr setzen moderne Einsatzmittel auf diesen Möglichkeiten auf und bieten dem Disponenten Vorschläge für den Einsatz konkreter Einsatzfahrzeuge auf Basis von Routing-Berechnungen an, in die auch aktuelle Verkehrsinformationen einfließen. Zudem wird im Hintergrund ermittelt, ob die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen zeitlichen Frist bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte auf Basis der aktuellen Einsatzmittel-Positionen noch gewährleistet wird. Diese liegt je nach Bundesland bei zwischen acht und 15 Minuten. Bei Bedarf werden angepasste Routen oder Standortveränderungen für freie Einsatzmittel angeboten, damit die Hilfsfrist wieder abgedeckt wird.

Neben der dynamischen Unterstützung von Georeferenzierung gewinnen zunehmend auch statische georeferenzierte Informationen an Bedeutung. Diese werden zum Beispiel aus landeseigenen Geodateninfrastrukturen bereitgestellt, welche die Geodaten entweder in Form regelmäßiger Updates oder auch als Webservices den Einsatzleitsystemen zur Verfügung stellen. Diese Geodaten weisen ein weites Spektrum auf und reichen von Zuständigkeitsbereichen der Leitstellen über fahndungsrelevante Objektinformationen bis hin zu aktuellen Pegelständen von Flüssen im Einsatzgebiet. Zahlreiche georeferenzierte Zusatzinformationen oder unterschiedliche Kartendarstellungen, die der Disponent bedarfsweise – zum Teil auch in verschiedenen Transsparenzstufen – einblenden kann, helfen diesem, die Lage insgesamt besser einschätzen zu können.

In Rheinland-Pfalz unterstützen wir auf Basis eines eigenen Rahmenvertrages bei der Umsetzung und dem Rollout des Einsatzleitsystems auf Kundenseite im Projektmanagement, Planung, IT-Konzeption, Systemarchitektur und Testmanagement. Im Jahr 2020 hatte sich das Bundesland für ein Einsatzleitsystem entschieden, im Dezember 2021 wurde im Polizeipräsidium Rheinpfalz eine Vorabversion des neuen zentralen Einsatzleitsystems vorgestellt.

Zusatzmodule erleichtern die Arbeit

Neben der vermehrten Unterstützung durch Georeferenzierung stehen weitere wertvolle Zusatzmodule zur Verfügung: Bereits wenn der Disponent den Notruf aufnimmt, wird er durch eine standardisierte Notrufabfrage unterstützt, die ihn durch vorkonfigurierte Fragen- und Entscheidungsbäume führt, um schnellstmöglich alle Informationen zur Einschätzung der Situation zu erhalten. Gute Module erlauben dabei jederzeit den Ausstieg aus dem Fragenbaum oder den Wiedereinstieg an anderer Stelle, sofern die Situation dies erfordert.  Sind alle Informationen zur Einschätzung der Situation ermittelt, wird ein Einsatzstichwort (Feuerwehr) oder Einsatzcode (Rettungsdienst) an das Einsatzleitsystem übergeben, das damit die benötigten Einsatzmittel wie einen Notarzt oder Rettungs- bzw. Krankenwagen vorschlägt. Die weiter oben beschriebenen Routing-Informationen werden dabei berücksichtigt, um das richtige Einsatzmittel schnellstmöglich zum Einsatzort zu bringen. Für die Feuerwehr ist im Einsatzleitsystem eine Alarm- und Ausrückeordnung hinterlegt, die für die jeweiligen Einsatzstichworte (wie Großbrand, technische Hilfeleistung etc.) unter Berücksichtigung des Ortes die benötigten Einsatzmittel alarmiert, die durchaus auch aus verschiedenen Wachen-Standorten kommen können.

Neben der toolgestützten Ereignisaufnahme bieten moderne Einsatzleitsysteme auch weitere Möglichkeiten, den Disponenten und auch die Kräfte vor Ort in den Einsatzlagen zu unterstützen. Für die polizeilichen Leitstellen waren zum Beispiel bisher die Zuständigkeitsbereiche der Sektorenfahndungen in statische Sektoren aufgeteilt. Mittlerweile ist es auch möglich, die bei einer Fahndung zu untersuchenden Sektoren auf Basis verschiedener Parameter dynamisch zu erzeugen. So fließen hier Fluchtrichtung, Fluchtgeschwindigkeit in Abhängigkeit der Fortbewegungsart (wie Auto, Fahrrad, zu Fuß) und Tatzeitpunkt sowie die Anzahl der aktuell verfügbaren Streifenwagen ein. Auf dieser Basis werden die Sektoren dynamisch erzeugt, deren unterschiedliche Größe sich durch Wichtungsparameter bestimmt. Hier fließt mit ein, wie die Straßen derzeit befahrbar sind und dass die Routen der Streifenwagen so effizient sein sollen, dass diese sich nicht sehen, also der „Wink-Effekt“, wie es im Polizeijargon heißt, vermieden wird. Stehen die Sektoren fest, werden die Streifenwagen per drag & drop den Sektoren zugeordnet und diesen gleich die Routingdaten zum Zielgebiet übermittelt.

Informationsaustausch mit Drittsystemen

Durch Schnittstellen zu anderen Fachanwendungen muss der Disponent Informationen nicht mehr manuell übermitteln. Suchanfragen werden an polizeiliche Recherchesysteme übergeben und laufen im Hintergrund ab, Trefferanzeigen werden signalisiert und können bei Bedarf in das System übernommen werden. Nach Abschluss der Einsätze werden je nach Einsatzart Informationen zur Weiterbearbeitung in Vorgangsbearbeitungssysteme übergeben oder auch Einsatzberichte auf Basis von Vorlagen generiert. Es gilt die Devise der Einmalerfassung und Mehrfachverwendung, wodurch zusätzlich Schreibarbeit weitestgehend reduziert wird.

Für Integrierte Leitstellen von Feuerwehr und Rettungsdienst kommen wiederrum Schnittstellen zu anderen Fachanwendungen zum Einsatz. Sei es für die Übergabe von Polygonzügen aus Gefahrstoffanwendungen, um ein Evakuierungsgebiet oder die Ausbreitungssimulation einer Schadstoffwolke in der Karte des Einsatzleitsystems einzublenden oder für die Übergabe von ersten Einsatzinformationen zu einem Patienten an Systeme zur medizinische Einsatzdokumentation. Letztere werden von den Rettungskräften im Rahmen des Einsatzes um Informationen zur Behandlung des Patienten ergänzt. Die datenschutzkonform abgelegten Informationen, wie aufgezeichnete EKGs oder Bilder des Einsatzes, können von berechtigten Anwendern eingesehen werden. Einsatzabläufe können so rekonstruiert und insgesamt einem Qualitätssicherungsprozess zugeführt werden.

Leitstellen-übergreifende Zusammenarbeit 

Auch die Art der Zusammenarbeit entwickelt sich weiter. Wurden früher Minimalinformationen wie Verfügbarkeit und Einsatzmittelstatus nur zwischen den polizeilichen oder Integrierten Leitstellen von Feuerwehr und Rettungsdienst eines Bundeslandes durch zusätzliche Applikationen geteilt, so sehen neuere Architekturen eine tiefere Integration vor. Diese ermöglicht es neben der Vorhaltung von Verfügbarkeiten und Einsatzmittelstatus in Echtzeit auch, BOS- (Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) übergreifend Einsatzdaten zwischen Leitstellen zu übertragen. Dies kann erforderlich werden, wenn sich die örtliche oder fachliche Zuständigkeit im Rahmen der Einsatzbearbeitung ändert. Die bedarfsweise Weitergabe erfolgt dann ebenfalls über entsprechende Schnittstellen, sodass wertvolle Zeit nicht durch eine manuelle Neuerfassung verbraucht wird.

Andere Mechanismen sehen vor, dass bei gemeinsamen Einsätzen von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei Einsatzdaten datenschutzkonform ausgetauscht oder freigeschaltet werden. Durch den Einsatz mobiler Arbeitsplätze oder spezieller Apps können Einsatzkräfte vor Ort im laufenden Einsatz sogar direkt mitarbeiten und durchgeführte Maßnahmen dokumentieren.

Darüber hinaus finden Business Continuity-Ansätze Einzug und berücksichtigen auch mögliche Ausfallszenarien einer Leitstelle oder der Ausfall der Notrufzuführung. Andere Leitstellen können dann übernehmen oder der Notruf wird zu einer Ersatzleitstelle umgeroutet. In anderen Szenarien können überlastete Leitstellen – aufgrund eines stark erhöhten Notrufaufkommens, beispielsweise bedingt durch Umweltkatastrophen – Unterstützung durch weniger belastete Leitstellen erhalten. Freie Disponenten anderer, unterstützender Leitstellen werden nach entsprechender Anmeldung so aufgeschaltet, dass sie dieselben Informationen wie die Disponenten der zu unterstützenden Leitstellen erhalten, obwohl sie durchaus einige 100 Kilometer entfernt sein können.

Die Entwicklung der Einsatzleitsysteme schreitet weiterhin voran. Die Zusammenarbeit mit dem Bürger (etwa durch Social-Media-Kanäle) spielt heute schon eine bedeutende Rolle und kann künftig noch weiter intensiviert werden. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder Vorhersage-Algorithmen in Integrierten Leitstellen kann es noch einmal einen weiteren Entwicklungsschub geben. Wir können hierbei die Polizei bei der Konzeption, Auswahl der Technologien und Implementierung begleiten.

Bedingt durch ihren Status als öffentliche Auftraggeber ist die BOS daran gehalten, neue Einsatzleitsysteme durch Vergabeverfahren zu beschaffen. Diese können von der Veröffentlichung bis zur Zuschlagserteilung durchaus langwierig sein. Eine spontane Beschaffung von neuen Technologien ist so oft nicht möglich. Was sich im ersten Moment als Nachteil liest, kann sich durchaus als Vorteil erweisen. So können bereits erprobte und weiterentwickelte Technologien aus der Privatwirtschaft relativ schnell adaptiert und auf den eigenen Bedarf angepasst werden. Hier können sich aus den momentan stattfindenden Digitalisierungsbestrebungen immer wieder neue interessante Möglichkeiten ergeben. Wir werden diese spannende Entwicklung verfolgen und nach besten Kräften unterstützen.

Über diesen Autor

Christof Krameyer, CGI

Christof Krameyer

Vice President Consulting Expert

Als Vice President Consulting Expert berät Christof Krameyer seine Kunden im Public Sector, insbesondere der Polizei. Der zertifizierte Projektmanager und Scrum Master hat zudem neben seiner Erfahrung als Berater langjährig im öffentlichen Sektor gearbeitet.