Alexander Falke

Alexander Falke

Lead Consultant

Während in der Softwareentwicklung agile Arbeitsweisen wie Scrum, cross-functional work oder Design Thinking bereits zum Standard gehören, werden diese Methoden selten mit IT Service Management in Verbindung gebracht. Wieso scheint dieser enorm wichtige Teil unserer IT Organisationen wenig mit agilem Arbeiten gemein zu haben? Welche Möglichkeiten habe ich, mein ITSM flexibler und moderner zu gestalten?
Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich Wege aufzeigen, wie agiles Arbeiten die Evolution des ITSM Vorantreiben kann. Dabei können moderne Ansätze der Zusammenarbeit und die Aufgaben des Service Managements wunderbar verzahnt werden. Dieser Artikel liefert Ideen und Anregungen für ein flexibles und dynamisches ITSM, gekoppelt mit Lessons Learned aus der Praxis.
 

Unser IT Service Management (ITSM) liefert die Stabilität und Sicherheit, die unsere IT Organisation benötigt. Dafür bietet uns der ITIL Standard ein Rahmenwerk, das uns bei der Organisation der ITSM Aktivitäten hilft und die nötige Struktur dafür liefert. Diese Sammlung vordefinierter Abläufe, Funktionen und Rollen auf Basis von Best-Practices hat mittlerweile Einzug in viele Unternehmen und IT Organisationen gehalten. Das wichtige Element der individuellen Anpassung dieser Strukturvorschläge aus ITIL hat aber auch dazu geführt, dass jede Service Organisation für sich einzigartig aufgebaut ist, um sich an die eigenen organisatorischen Rahmenbedingungen anzupassen und sich in die IT Organisation einzufügen. Die neue, vierte Version des ITIL Werkes nutzt nun auch agile Arbeitsansätze für das ITSM und rückt die Wertschöpfung in den Fokus, indem das Service Value System den Kernansatz von ITIL v4 bildet. Daraus ergibt sich ein ganzheitlicher Ansatz, aus einer Anforderung des Kunden oder des Marktes einen wertschöpfenden Beitrag zu entwickeln. Die Fokussierung der Arbeit auf nutzbaren Wert finden wir auch in der agilen Arbeit wieder. ITIL v4 bereitet den Weg, agile Arbeitsweisen und Praktiken auch im ITSM zu nutzen und schafft so eine neue Basis flexibler und fachübergreifend zusammenzuarbeiten. Das ITSM löst sich nun in seiner Struktur von abgegrenzten Prozessen und bewegt sich in Richtung eines Zusammenspiels verschiedener Aktivitäten und Praktiken.
Aber ist es nun notwendig, wirklich jeden Baustein in unserer ITSM Organisation umzudrehen und neu zu definieren?

Einsatzbereiche agiler Praktiken im ITSM

Für den sinnvollen Einsatz agiler Methoden und Praktiken in der ITSM Organisation empfiehlt sich ein realistischer Blick auf die individuellen Aufgaben, die hier angesiedelt sind. Eine wirksame Methode hierfür liefert die STACEY-Matrix. Sie unterstützt die Einordnung verschiedenster Aufgaben oder Projekte in diese Kategorien: einfach, kompliziert, komplex und chaotisch.

Agile Methoden werden vor allem bei komplexen Problemstellungen verwendet, weil sie den Umgang mit unvollständigen oder unklaren Anforderungen erleichtern. Genauso erleichtert uns agiles Arbeiten den Umgang mit unklaren Informationen, beispielsweise wie genau eine Umsetzung erfolgen soll. Daraus ergibt sich die Motivation, agiles Arbeiten im ITSM für genau diese komplexen Problemstellungen und Aufgaben anzuwenden. Das bedeutet, dass die Bereiche unserer Service Organisationen, die sich im einfachen und komplizierten Bereich bewegen, und innerhalb derer keine Schmerzpunkte erscheinen, genauso bestehen bleiben wie sie bereits organisiert sind. Agiles Arbeiten soll nur dort eingesetzt werden, wo ein echter Mehrwert geschaffen werden kann und komplexe Themen bearbeitet werden. Ein Beispiel für einen einfachen Fall aus dem Incident Management ist eine Accountsperrung. Hierbei ist das Problem genau bekannt und auch die Vorgehensweise, um die Sperrung aufzuheben, wenn dies erforderlich ist. Aus dem Service Design heraus ergeben sich mehr komplexe Aufgabenstellungen, wie beispielsweise die Einrichtung eines neuen Single-Sign-On für mehrere Applikationen. Die Besonderheiten der einzelnen Applikationen sind zu Beginn meist nicht vollständig bekannt, weshalb auch das benötigte Vorgehen nicht eindeutig festgelegt werden kann.

Einsatz agiler Praktiken vorbereiten

Damit uns die Veränderung hin zum agilen Arbeiten nicht kalt erwischt, sind gewisse Voraussetzungen und ein feinfühliges Vorgehen wichtig. Im Sinne des Inspect & Adapt Ansatzes muss die Möglichkeit geschaffen werden, agile Arbeitsweisen auszuprobieren und die daraus gesammelten Erfahrungen für die Service Organisation zu nutzen. Daraus ergibt sich, dass auch jeder Betroffene die Möglichkeit bekommen soll, agile Praktiken zu erproben und eigene Schlüsse daraus zu ziehen.
Aus der Praxis ergeben sich für die Einführung agiler Methoden und Praktiken einige Grundvoraussetzungen, die die IT Service Organisation erfüllen sollte. Diese Voraussetzungen erleichtern den Einstieg in agiles Arbeiten und bilden den Grundstein für deren Erprobung in der Service Organisation.

Die Voraussetzungen

Die Fokussierung auf ein nutzbares Ergebnis ist ein Kernelement der Agilität und daher auch enorm wichtig, um diese Arbeitsweise im ITSM zu etablieren. Daraus leitet sich ab, dass Agilität auch nur an den Stellen im ITSM eingesetzt wird, wo ein Mehrwert durch deren Nutzung erwartet wird. Ein agiles Mindset und die Offenheit agilen Methoden gegenüber sind ebenfalls wichtig, um sich der für viele ungewohnten Arbeitsweise zu öffnen.
Da nicht unser komplettes ITSM und bestimmt auch nur selten ein gesamtes Unternehmen agil organisiert sind, ist eine transparente Kommunikation gegenüber den Betroffenen, aber auch den Beteiligten gegenüber, unerlässlich. Es wird neue Schnittstellen zwischen agil arbeitenden und klassisch arbeitenden Teams, Bereichen oder Unternehmensteilen geben, die die Arbeitsweise des jeweils anderen kennen und im besten Fall verstehen.
Es ist Empathie aufzubringen, um jedem Service Mitarbeiter die Chance zu eröffnen, agiles Arbeiten für sich auszuprobieren und eigene Schlüsse abzuleiten.
Der gelebte Teamgedanke fördert die übergreifende Zusammenarbeit über Organisationsgrenzen hinweg und unterstützt die Einbeziehung des Kunden und aller Expertisen, die beispielsweise für die Erstellung eines Service wesentlich sind.
Außerdem ergibt sich aus der praktischen Erfahrung bei der Einführung agilen Arbeitens die Notwendigkeit, dass fachliche Kompetenz sowohl in ITSM-Prozessen, als auch in der Anwendung agiler Methoden in der IT Organisation vorhanden ist. Kompetente Ansprechpartner auf diesen Gebieten helfen den Service Mitarbeitern dabei, sich auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und agile Methoden auf die eigenen Arbeitsabläufe anzuwenden.

Vorgehen für die Einführung agiler Praktiken

Um nun auf Basis der geschaffenen Grundvoraussetzungen agile Praktiken einzuführen, verwenden wir ein dreistufiges Vorgehen. Dieses bezieht eine Vorbereitungszeit für die Service Organisation ein sowie eine schrittweise Einführung agiler Methoden. Danach ergibt sich eine Abschlussphase, in der das weitere Vorgehen bei der Verankerung agiler Arbeitsweisen beleuchtet wird. Unser Vorgehen für diesen Wandel setzt sich wie folgt zusammen:

Wissenstransfer

Die Vorbereitung startet mit einem Wissenstransfer zu agilen Arbeitsweisen. Dieser Transfer dient dazu, allen Beteiligten aufzuzeigen, welche agilen Methoden es gibt und wie diese eingesetzt werden könnten. So sollen die Möglichkeiten, die Agilität bietet, für jeden verfügbar sein. Anschließend findet eine Evaluierung statt, in welchen Bereichen unserer Service Organisation agile Arbeitsweisen sinnvoll eingesetzt werden können, sodass sie einen wirklichen Mehrwert schaffen können. Das dient der Vorbeugung, dass agile Methoden nicht nur als Trendfaktor gesehen werden, sondern auch nur eingesetzt werden, wenn sie dienlich eingesetzt werden.

Zielbild

Der nächste Schritt umfasst die Definition eines Zielbilds, um zu zeigen und zu argumentieren, aus welchem Grund agile Arbeitsweisen eingesetzt werden. Das ermöglicht den gezielten Einsatz der neuen Methoden und das Hinarbeiten auf ein konkretes Ziel, sodass die Akzeptanz für die Veränderung gesteigert werden kann.

Ansätze für die Veränderung

Danach ist es wichtig, gezielte Ansätze für die ersten Schritte agiler Arbeit in unserem ITSM zu identifizieren. Es ist sinnvoll, zu Beginn keinen großen Teil der Organisation zu verändern, sondern eindeutig bestimmte Anfangspunkte festzulegen. Dieser Ansatz bildet die Basis für eine schrittweise Veränderung zu neuen, agilen Praktiken, in der kleine Schritte und regelmäßige Anpassungen und das Lernen aus Erfahrungen im Fokus stehen. Zudem steigt in den meisten Fällen das Interesse an Neuem, wenn kleinere Bereiche schon Erfolge vorweisen können und sich beratend zur Seite stellen.

Dokumentation

Sind die organisatorischen Startpunkte für agiles Arbeiten definiert, werden sie in eine Change-Doku überführt, die transparent darstellt, wo der Wandel beginnt und einen groben Rahmen dafür schafft.

Backlog

Daraus ergibt sich das Change-Backlog, in dem die organisatorischen Startpunkte mit einzelnen agilen Ansätzen gekoppelt sind. Hier wird dokumentiert, in welchem Bereich oder Team welche agile Praktik oder Methode erprobt werden soll und welches Ergebnis erwartet wird. Das Backlog begleitet den gesamten Wandel hin zum agilen Arbeiten. Dieses lebende Dokument kann sich über die Laufzeit verändern, indem Erfahrungen dazu führen, dass einzelne bereits eingeplante Praktiken nicht ausprobiert werden oder neue hinzukommen, bei denen sich ein Versuch lohnt.

Schrittweise Veränderung

Ist das initiale Backlog aufgestellt, folgt die schrittweise Veränderung. Hier wird iterativ vorgegangen, sodass gemachte Erfahrungen direkt in die Planung einfließen können und schnell erste Erkenntnisse in Bezug auf die Anwendung agiler Methoden abgeleitet werden können. Es wird demnach immer für die nächste Iteration geplant, welche agile Arbeitsweise in welchem organisatorischen Bereich eingeführt werden soll. Im abschließenden Review haben alle Beteiligten die Möglichkeit die Wirkung zu bewerten, während sie in der darauffolgenden Retro die Zusammenarbeit während der Veränderung beleuchten. Anschließend folgen weitere Iterationen bis die Anzahl, die vorab festgelegt wurde, erreicht ist. Denn danach sollte das Zielbild erneut beleuchtet werden. Wurde der Zielzustand erreicht? Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Umsetzung ableiten? Wollen wir weitere agile Methoden ausprobieren? Wollen wir die bereits eingeführten Praktiken weiterführen?
All diese Fragestellungen fließen in das erste Ergebnis ein, den abschließenden Schritt. Sollte die Entscheidung fallen, weiterhin flexibler und agiler zusammenarbeiten zu wollen und auch das Backlog weiter lebendig zu halten, kann eine weitere Umsetzungsphase starten.

Konkrete Einsatzszenarien in der Praxis

Die Evolution der IT Service Landschaft unter der Nutzung agiler Praktiken ist auch an der neuen Version des Rahmenwerks ITIL v4 nicht vorbeigegangen. Die Einbettung agiler Arbeitsweisen ins ITSM fördert gezielt die Weiterentwicklung unserer Service Organisationen, vor allem in den Bereichen People, Value und Practices.

People
Der Einsatz moderner und effektiver Zusammenarbeit sowie die Weitergabe von Kompetenzen und Verantwortung an Teammitglieder stärken die Service Mitarbeiter. Wir schaffen Raum für die Vernetzung untereinander sowie für die individuelle Weiterentwicklung.

Value
Anforderungen an Services werden gemeinsam entwickelt. Dafür eignen sich Workshops mit allen Beteiligten, die auch den Kunden einschließen. Gleichzeitig eröffnet dies die Möglichkeit Ideen von Fachexperten einzubeziehen, um die gewünschte Wertschöpfung durch den einen Service zu erzielen. Hierbei ist auch die Automatisierung zu berücksichtigen, die immer stärker bei den zu erstellenden Services ins Gewicht fällt.

Practices
Nutzung moderner Praktiken, um von allen akzeptierten Lösungen zu erarbeiten – beispielsweise im Requirements Engineering (Business Object Modelling, Epics, User Stories).

Im Service Design haben wir die Möglichkeit neue Anforderungen mithilfe agiler Methoden umzusetzen. Unsere Service Strategie bildet den Rahmen, in dem wir agieren können, um einen neuen Service zu kreieren. Dieser neue Service wird meistens an drei Kriterien gemessen: Passende Leistung, hohe Wertschöpfung und hoher Automatisierungsgrad. Damit ergänzt er unser Service Portfolio. Das agile Service Design ist beispielsweise mit einem Ansatz aus dem Design Thinking möglich. Damit verfolgen wir das Ziel, aus Kundensicht überzeugende Services anzubieten. Im ersten Schritt unseres Ansatzes, der Ideensammlung, kommen Kunde und Service Team zusammen. Sie sammeln gemeinsam Ideen für die Umsetzung der gestellten Anforderungen und nutzen dafür User Stories. In der folgenden Strukturierung erfolgt eine transparente Übersicht über mögliche Lösungen. Die anschließende Weiterentwicklung konkretisiert die Lösungen, indem die Faktoren Nutzen, Zufriedenheit und Automatisierung bewertet werden. Daraus ergibt sich der Lösungsansatz, mit dem im nächsten Schritt der Prototyp realisiert wird. Dabei werden vor allem die Kriterien Ziele, Leistung, KPIs und Metriken angewandt, um einen ganzheitlichen Service zu erstellen, der auch für Service Level Agreements Bestand hat und dort abgebildet werden kann. Zum abschließenden Test findet noch einmal die Vernetzung aller Beteiligten statt. Dieses Vorgehen bezieht alle Beteiligten intensiv ein, womit die Identifikation mit der Lösung und die gemeinsame Verantwortung gestärkt wird.

Auch im Incident- und Problemmanagement ist die Nutzung agiler Arbeitsweisen hilfreich. Wir haben die Möglichkeit Major Incidents und komplexe Probleme in einem Kanban Board zu erfassen und so den aktuellen Status transparent halten. Für eben diese komplexen Angelegenheiten ist dann ein neu organisierter Austausch erforderlich, der Dailies, Weeklies, Reviews und Retrospektiven enthält. In diesem Format ist ein flexibler Austausch möglich, bei dem jeder Beteiligte auf dem aktuellen Stand ist. Das Kanban Board trägt zusätzlich dazu bei, dass Fortschritt und aktuelle Informationen ersichtlich sind. Dieser Ansatz stärkt das Teamgefühl, weil gemeinsam Lösungen gefunden werden und gemeinsam Verantwortung übernommen wird.

Die Umsetzung von Changes im ITSM kann ebenfalls von agilen Methoden profitieren. Denn wir haben dadurch die Möglichkeit die unterschiedlichen Typen von Changes auch unterschiedlich zu behandeln. Standard Changes werden gemäß des festlegten Standardprozesses bearbeitet. Normale Changes werden in klassischen Strukturen abgearbeitet. Komplexe Changes bedienen sich hingegen agilen Methoden für die Umsetzung. Dabei werden alle Beteiligten in die Implementierung einbezogen und die Lösung schrittweise erarbeitet. Die geplante Erweiterung der Funktionalität wird demnach interdisziplinär und gemeinschaftlich angegangen.

Möglichkeiten

Unter ITIL v4 haben sich unsere Möglichkeiten agile Arbeitsweisen im ITSM zu nutzen deutlich verbessert. Agile Methoden und deren Nutzung wird berücksichtigt und der Fokus liegt nicht mehr auf Prozessen, sondern auf Wertschöpfung. Wir haben die Möglichkeit mithilfe von agilem Arbeiten Silos einzureißen und fachübergreifend zusammenzuarbeiten. Das fördert unseren Austausch untereinander enorm, in dem wir nicht nur unser fachliches Knowhow teilen, sondern auch unsere Erfahrungen. So kann eine vernetzte Service Organisation entstehen. Außerdem fördert der Fokus auf Zusammenarbeit auch die direkte Einbeziehung des Kunden. So haben wir die Chance durch den direkten Kontakt noch besser zu verstehen, wie unser Service einen Mehrwert schafft.

Über diesen Autor

Alexander Falke

Alexander Falke

Lead Consultant

Alexander Falkes Schwerpunktthemen sind Entrepreneurship, Strategie und Innovation – immer mit besonderem Augenmerk auf Agilität und Diversität. Seine Arbeitsweise definiert sich durch eine große soziale Kompetenz und analytische Herangehensweise und ist stets durch Neugierde geprägt.