Mitarbeiter, die Fehler machen, werden gern gesehen. Verkehrte Welt? Nein, ganz im Gegenteil ein wichtiger Baustein im Agilen Management. Agiles Management ist neben Digitale Transformation, New Work, Bi-modale Organisation ein omnipräsentes Schlagwort und in jedermanns Munde. Aber wer braucht so etwas? Agile Methoden kommen am besten zum Einsatz, wenn es im Unternehmen zwar eine Vorstellung vom Ziel gibt, der Weg dahin aber noch nicht klar ist. Oder wann immer eine rasche Reaktion auf neue Anforderungen nötig wird. Konkret: Die Kunden erwarten schnell neue Produkte, die Regulierungsbehörden verändern die Rahmenbedingungen, der Kostendruck verlangt effizientere Systeme und die Digitalisierung bringt unbekannte Mitbewerber ins Spiel und damit den Druck, neue Geschäftsmodelle zügig auf den Markt zu bringen.
Der Kunde steht im Fokus
Mit der traditionellen Herangehensweise können diese Herausforderungen nicht gemeistert werden, da klassisches Projektmanagement auf Vorhersagbarkeit und damit langfristiger Planbarkeit der nächsten Monate oder Jahre beruht. Beim Agilen Management steht der Kunde im Fokus, wobei als Kunde jeder Nutzer eines Produkts gilt, der Endkunde ebenso wie der firmeninterne Nutzer oder der Regulator. Alle Aktivitäten werden auf diesen Aspekt abgeklopft: Erhöht diese Funktionalität tatsächlich die Trefferquote meiner Scan-Software, reduziert das System wirklich die Anzahl der manuellen Schritte, interessiert sich der Kunde überhaupt für das neue Produkt? Projekt-Teilziele werden explizit als pure Annahmen ausgewiesen und in kurzen Iterationen überprüft, um irrige Annahmen auszusortieren und nicht am Kundenbedarf vorbei zu entwickeln.
Selbstorganisation statt Hierarchie
Dieser Ansatz verlangt eine grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen innerhalb des Unternehmens. Beruht die gegenwärtige, vertraute und bis dato auch bewährte Arbeitsweise im Wesentlichen auf Kontrolle, Hierarchie und (bürokratischen) Prozessen, verlangt Agiles Management Transparenz, Selbstorganisation und bereichsübergreifenden Austausch. Es ist schlicht unmöglich, einige Teams agil Software entwickeln zu lassen und zu erwarten, dass von dieser Veränderung das restliche Unternehmen nicht betroffen sein wird. Darin liegt auch die Schwierigkeit: Agiles Management ist weniger Methode als Kultur. Start-ups ist diese Kultur inhärent, gewachsene Unternehmen stehen vor der schweren Aufgabe, ihre Unternehmenskultur verändern zu müssen. Die gute Nachricht: Gestandene Unternehmen können auf Erfahrungen von früheren Veränderungsprojekten zurückgreifen, ein Ressourcenschatz, der genutzt werden sollte.
Gefragt sind dezentrale Entscheidungen
Wie geht es weiter? Mein wichtigster Ratschlag: konsequent sein. Oft scheitern agile Projekte an der halbherzigen Umsetzung. Zunächst sollte ein klar begrenzter Bereich (Produkt, System, Service oder Problemstellung) zur Einführung agiler Methoden ausgewählt werden. Dann gilt es, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen: Das CAB (Change Advisory Board) berät nur alle fünf Monate und ohne deren „Okay“ kein Release? Nicht für dieses Projekt! Stattdessen sollte hinterfragt werden, wer bei diesem Projekt wirklich zustimmen muss. Brauche ich das gesamte CAB? Wichtig ist, die Strukturen dem agilen Ansatz anzupassen und nicht umgekehrt. Gefragt sind dezentrale Entscheidungen auf der richtigen Ebene. Die Mitarbeiter sollten befähigt werden, solche Entscheidungen zu treffen. Dafür sind Vertrauen und Respekt in deren Kompetenz nötig.
Prioritäten setzen
Die Komplexität der Aufgabenstellungen erlaubt nicht die Definition eines klar begrenzten Bereiches? Dann sollten komplexe Sachverhalte in überschaubare Teilbereiche zerlegt werden, die nacheinander angegangen werden. Das verlangt Priorisierung – ein weiteres schwieriges Thema. Die meisten Unternehmen kämpfen an vielen Fronten gleichzeitig und tun sich schwer, einem Aspekt eine höhere Wertigkeit als dem anderen zuzuordnen. Ein Priorisierungs-Workshop mit Vertretern aller Geschäftsbereiche vermindert das Risiko von Fehlentscheidungen und gewährleistet die Unterstützung der gesamten Organisation.
Management muss unbedingt mitziehen
Für das erste agile Projekt sollte ein neues Konzept der Budget- und Kapazitätsplanung erstellt und sukzessive weiterentwickelt werden. Das gilt auch für die Fortschritts- und Erfolgskontrolle. Die Fülle an Themen, die sich aus dem Konzept der Agilität ergeben, zeigt, dass ohne unbedingte Unterstützung durch das C-Level Management ein solcher Kulturwandel nicht machbar ist. Denn Agiles Management setzt fortwährendes Hinterfragen aller Prozesse, des eigenen Tuns und das des Unternehmens voraus. Mit der Verpflichtung, Prozesse und das eigene Tun offen zu legen und aktiv zu verbessern. Diesem Anspruch ist nicht jeder Mitarbeiter gewachsen, er braucht Hilfe. Neben der Unterstützung durch das Management werden agile Multiplikatoren in allen an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmensbereichen benötigt. Deren wichtigste Aufgabe ist die Etablierung einer Lernkultur – was auch die Akzeptanz einer Fehlerkultur einschließt. Die Mitarbeiter werden in der Tat ermutigt, so zeitig wie möglich Fehler zu machen und bestmöglich aus den Fehlern zu lernen. Ein Riesenschritt im Vergleich zur Fehlervermeidungsstrategie.
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