Die Pflege gilt als eine der wichtigsten sozialen und gesellschaftlichen Aufgaben. Ohne eine stärkere Digitalisierung wird sie zukünftig weder zu organisieren, noch zu finanzieren sein. Sie hilft aber nur, wenn sie tatsächlich zu einer spürbaren Arbeitsentlastung für das Personal führt.
Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass es einmal keine Pflegeversicherung gab. Dabei wurde sie erst 1995 etabliert. Seitdem sind die Herausforderungen noch stärker gewachsen als die Kosten und die Leistungsumfänge. Der wohl wichtigste Grund dafür ist der demografische Wandel. Waren bei der Einführung der Pflegeversicherung noch 13 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung älter als 67 Jahre, sind es aktuell schon 20 Prozent. Und der Anteil potenziell pflegebedürftiger Altersgruppen wächst weiter.
Schwierige Verbindung von Empathie und Technik
Das hat fatale Konsequenzen für alle Beteiligten. Schon heute kämpft der Pflegesektor mit einem großen Personalengpass, der sich ohne tiefgreifende Veränderungen tendenziell weiter verschärfen wird. Der Arbeitsalltag im Pflegeberuf ist geprägt durch eine schwierige Melange aus körperlichen und psychischen Anforderungen wie Zeitdruck, Schichtarbeit und hohe Arbeitsintensität, ganz zu schweigen von den häufig auch emotional anspruchsvollen und herausfordernden Situationen.
In dieser prekären Lage versprechen IT und Digitalisierung konstruktive Ansätze für Entlastung. Die Pflege ist ein Paradebeispiel für einen empathisch geprägten sozialen Interaktionsraum mit einem Wertekanon von Zuwendung, Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft. Vornehmste Aufgabe der Digitalisierung muss es dementsprechend sein, mehr Raum und Zeit dafür zu schaffen. Das bedeutet, IT-Technologien dürfen sich nicht als störende Artefakte zwischen Pflegende und zu Pflegende schieben.
„Prozesse zu digitalisieren nur um der Digitalisierung Willen bringt nichts“, weiß eine leitende Angestellte einer Gesundheitseinrichtung in Bayern, die nicht namentlich genannt werden will. „Man darf nicht vergessen, dass die Etablierung neuer Prozesse auch immer mit Zeitaufwand und Anpassung von langjährig gehegten Denk- sowie Arbeitsweisen verbunden ist. Viele Mitarbeiter der Pflege sind schon viele Jahre berufstätig und tun sich demnach schwer mit Veränderungen. Maßnahmen der Digitalisierung müssen daher einen echten Mehrwert stiften und nachvollziehbar, leicht erlern- sowie schnell umsetzbar sein, damit sie Bestand haben.“
IT als Administration- und Kommunikationshelfer
Konkret verspricht die Integration von IT-Lösungen in die Pflege die Entlastung von Routineaufgaben und mehr Effizienz in organisatorischen Strukturen und Abläufen. Das kann bereits der Schritt vom Papierhandling zur digitalen Dokumentation sein, die Digitalisierung von Kostenabrechnungen, Personalplanung, Besucherregelungen sowie Zeit-, Medikamenten- und Supply-Management.
Schnell stößt man hier auf die grundlegenden Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Personal, Einrichtungen und Institutionen. Uneinheitliche Strukturen erfordern oft mehrfache Eingaben und Abstimmungen. Für langfristige Entlastung des gesamten Pflegesystems sorgt hier vor allem die Anbindung an die Telematik-Infrastruktur. Nur bei einer guten intersektoralen Vernetzung können auch die Pflegebereiche digital auf die Akten der Patienten zugreifen und diese entsprechend in bidirektionalem Austausch aktualisieren. Der gleiche Ansatz muss auch innerhalb der Rehabilitation verfolgt werden.
„Ältere Menschen leiden häufig an multiplen Krankheitsbildern. Viele ihrer Befunde kommen nach alter Manier noch per Post. Das bedeutet nicht nur eine erhebliche Zeitverzögerung in der Dokumentation, sondern auch, dass Informationen händisch in lokale Systeme übertragen werden müssen. Kommt dann noch eine handgeschriebene, schwer leserliche Notiz eines Arztes hinzu, für die nochmal ein absicherndes Telefonat nötig ist, ist schnell eine halbe Stunde ins Land gezogen. Dass bei diesem Vorgehen im hektischen Alltag Fehler passieren – vor allem wenn stets mehrere verschiedene Tools zum Einsatz kommen – ist nur logisch und nicht von der Hand zu weisen. Eine einheitliche Infrastruktur, über die digital kommuniziert wird, würde nicht nur Fehlerquellen aushebeln, sondern auch eine gute, nachvollziehbare Dokumentation ermöglichen“, gibt die leitende Angestellte zu bedenken.
Datenschutz als vermeintliches Hindernis
Einen vermeintlichen Stock zwischen die Beine wirft hier der Datenschutz. Seit Einführung der DSGVO sind Anmelde- und Abstimmungsprozeduren wesentlich komplexer und rauben wertvolle Zeit für Zuwendung und menschliches Miteinander. Tokenbasierte Authentifizierungsprozesse können allerdings schnelle Abhilfe schaffen. Sie sind zügig implementiert und erhöhen gleichzeitig die Sicherheitsstandards. Eine weitere Möglichkeit, um den Datenschutz zu gewährleisten, ist die Trennung der Clients von nativen Applikationen. So bekommt das Personal die Möglichkeit, unabhängig vom Standort des Clients seine Aufgaben in der Dokumentation wahrzunehmen. So sorgt IT in der Theorie für effizientere, und damit weniger zeitbindende Abläufe. Zeit, die damit frei wird für die menschliche Interaktion. Diese positiven Effekte können aber nur dann greifen, wenn die Digitalisierung diese Abläufe nicht komplizierter oder arbeitsaufwändiger macht. Hier gilt es, Aufwand und technischen Nutzen in Einklang zu bringen, damit sich Digitalisierungsprozesse nahtlos in den Alltag einfügen.
Technische Maßnahmen zur Entlastung
Gleichzeitig steht mit der Digitalisierung eine Fülle von unterstützenden pflegenahen Maßnahmen zur Verfügung. Ereignisgesteuerten Mechanismen auf Basis von IoT-, GPS- oder Kamera-Sensoren können das Pflegepersonal massiv entlasten. Diese „Smart Room Sensoric“ erkennt unter anderem unnatürliche Lagen von Patienten im Bett, ob ein zu Pflegender das Bett verlassen hat oder regungslos auf dem Boden seines Zimmers liegt. „Würden meine Kollegen und ich jedes Mal eine Push-Nachricht auf einem mobilen Gerät erhalten, wenn kleine Anomalien oder abweichende Verhaltensmuster auftreten, könnten wir viel effizienter vorgehen. Es würde uns ein frühes Eingreifen ermöglichen, sodass wir nicht immer in Alarmbereitschaft sind oder von einem Brandherd zum nächsten eilen“, stellt sie immer wieder fest. „Begrüßenswert wären auch Automatisierungen beim Eintreten bestimmter Ereignisse – wie etwa die Aktivierung der Beleuchtung, wenn abweichende Bewegungen passieren.“ Auf Basis dieser gesammelten Daten kann auch eine Analyse zur Mustererkennung erfolgen, was wesentlich zur Optimierung der Arbeitsabläufe und Einsatzplanung oder zur Erkennung von Anomalien beiträgt.
Digitalisierung beginnt beim Menschen
Digitalisierung hilft dort, wo sie tatsächlich zu einer spürbaren Zeitersparnis und Arbeitsentlastung für das Personal führt. Und das kann sie potenziell auf praktisch allen Feldern des Klinikalltags – die Technik ist vorhanden. Das Wichtigste ist, einen Startschuss zu setzen, aktiv zu werden. Bei Mitarbeitern nachzufragen, wo es die größten Engpässe gibt. Zu prüfen, welche Tätigkeiten sich stets wiederholen und welche Abläufe am meisten Zeit in Anspruch nehmen.
Technische Möglichkeiten, Anbieter und Partner gibt es viele. Aber die Menschen vor Ort sind der Dreh- und Angelpunkt und denen müssen Digitalisierungsmanager zuhören. Bei ihnen beginnt die erfolgreiche digitale Transformation der Pflege – und zeitgleich auch das, was den Beruf ausmacht: nämlich die so wertvolle emotionale Komponente.