Die IT hält in unsere Lebens- und Arbeitswelt immer stärker Einzug: Der intelligente Einsatz von Sensorik, Aktuatorik und Vernetzung in Alltagsgegenständen ermöglicht es, die unternehmerische Wertschöpfung neu auszurichten. Bedingung hierfür ist eine IT-Abteilung, die flexible Systeme schafft und mit agilen Verfahren dafür sorgt, dass Unternehmen ihre Angebote immer wieder neu an die Kundenbedürfnisse anpassen können.

Im Zuge der Digitalisierung müssen sich Unternehmen einer Vielzahl neuer Herausforderungen stellen. Auf der Kundenseite ist der stetig steigende Wunsch nach individuell angepassten, nutzungs- und kontextspezifischen Dienstleistungen zu beobachten. Der Trend geht dahin, nicht mehr die Produkte, sondern deren Nutzen zu vermarkten und an den individuellen Nutzungskontext angepasst zu liefern. Automobilhersteller etwa stellen heute nicht mehr nur das Fahrzeug in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit, sondern konzentrieren sich auch auf Leistungen, die dem Kundenbedürfnis nach „individueller Mobilität“ gerecht werden. Gleichzeitig bleiben bekannte Herausforderungen wie Effizienzsteigerung, skalierende Geschäftssysteme oder die Standardisierung und intelligente Automatisierung der IT bestehen. Mit der Digitalisierung wird das Management IT-basierter Geschäftssysteme jedoch deutlich komplexer.

Wege zum Digital Business

Aus wissenschaftlicher Sicht verläuft die Digitalisierung entlang dreier Stoßrichtungen. Die erste hat ihren Anfang in der prädigitalisierten Zeit und konzentriert sich darauf, die internen Prozesse intelligent zu automatisieren. Zielsetzung ist hier, die Leistungserstellung mit IT zu verbessern und die eigene Wertschöpfung flexibler und effektiver zu gestalten. Die zweite entspringt der Internetwelt und fußt auf der Machtverschiebung zum Kunden hin. Dieser wählt aus den unterschiedlichsten digitalen Angeboten die Leistungsbündel aus, die seine Bedürfnisse am ehesten befriedigen, ihn begeistern und die ihm ein besonderes „Kundenerlebnis“ ermöglichen. Unternehmen sammeln die Nutzungsdaten und werten sie aus. Sie können so neue Szenarien prognostizieren und Dienstleistungen schaffen, mit denen sie die Bedürfnisse und Interessen der Kunden situationsgerecht besser treffen.

Die dritte Stoßrichtung der Digitalisierung ist eng mit dem Leistungsergebnis der unternehmerischen Wertschöpfung verbunden: Anbieter reichern unterschiedlichste Produktbereiche mit digitalen Technologien an. Hier ermöglicht die IT, die Einzelprodukte zu individuellen Leistungsbündeln zu kombinieren, sie ermöglicht smarte Produkte und Services, aber zunehmend auch ganz andere Geschäftsmodelle: weg vom reinen Produkt und hin zum Verkauf des Nutzens. Damit einhergehen Abrechnungsmodelle wie „Performance Pricing“ oder „Pay per Use“.

Was wird aus der IT-Abteilung?

Angesichts dieser Veränderungen läge die Vermutung nahe, dass die Bedeutung der internen IT wächst. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass Unternehmen ihre neuen digitalen Initiativen zunehmend ohne die Beteiligung ihrer IT-Abteilung starten und durchführen. Die Entwicklungsleistungen und IT-Services für die einzelnen Initiativen sind extern verfügbar. Daher erscheint vielen Entscheidern die Mitwirkung der internen IT-Abteilung nicht zwingend notwendig. Das wirft die Frage auf, welche Rolle die IT-Abteilungen bei digitalen Initiativen grundsätzlich spielen werden. Tatsächlich besteht das Risiko, dass viele IT-Abteilungen künftig nur noch Infrastrukturbetreiber und Unterstützer der notwendigen Back-Office-Prozesse sein werden – über Kosten gesteuert und nicht über den Wertbeitrag, den sie für ihr Unternehmen in der digitalen Transformation leisten könnten.

Umdenken und das Repertoire erweitern

Theoretisch könnten IT-Abteilungen ihre Arbeitsstrukturen und Fähigkeiten an den Wandel anpassen. So wären sie in der Lage, digitale Initiativen zu konzipieren und durchzuführen. Sie könnten zu einem zentralen Wettbewerbsvorteil für ihr Unternehmen werden. Praktisch aber steht dem die traditionelle Organisation und Philosophie vieler IT-Abteilungen im Wege. Sie sind daran gewöhnt, Leistungen für die Businessbereiche sequentiell zu entwickeln und nur in Form möglichst ausgereifter Produkte zu liefern. Digitale Initiativen aber müssen zügig geplant und umgesetzt werden, denn das Geschäft an der Kundenschnittstelle wird immer schneller. Statt Angebote bis ins letzte Detail zu konzeptionieren, müssen Unternehmen ihre neuen digitalen Produkte und Services im Laufe der Entwicklung und des Betriebs kontinuierlich an die Anforderungen der Nutzer anpassen.

Agilität aufbauen und erhalten

Vor diesem Hintergrund gilt es für IT-Abteilungen, ihr Repertoire über die „klassische“ Optimierung interner Geschäftsprozesse hinaus zu erweitern – allem voran durch Agilität. Sie ist notwendig, um auf neu entstehende Kundenbedürfnisse frühzeitig und passgenau reagieren zu können. Anforderungen, Ideen und Konzepte rasch umzusetzen, mit Kunden zu testen und in schnellen Iterationen weiter zu verfeinern – das sollte die IT künftig leisten können. Bisher erproben Unternehmen agile Ansätze meist in kleinen Pilotprojekten, um das Risiko für die bestehende Organisation gering zu halten, falls der angestrebte Nutzen nicht entsteht. Aber auch bei Erfolg werden bisher nur wenige Piloten in bestehende Prozesse, Strukturen und Arbeitsweisen überführt. Die erprobte Agilität verpufft mit Abschluss des Projekts, und die IT-Mitarbeiter kehren zu ihren gewohnten Verfahren zurück.

IT-Führungskräften, die agile Entwicklungsverfahren verfestigen und dauerhaft etablieren wollen, können die folgenden aus Wissenschaft und Praxis destillierten Handlungshinweise helfen:

Klar definierte Rollen und Verantwortlichkeiten
Viele Mitarbeiter erleben die Arbeit in agilen Teams als chaotisch und zielverloren. Sie vermissen feste Strukturen und Leitlinien ebenso wie Anhaltspunkte zur Bewertung des eigenen Beitrags zum Projekt und bauen daher Widerstände auf. Hier gilt es für Sie, Orientierung und Vertrauen zu schaffen. Beispielsweise durch die eindeutige Definition der Input-Output-Beziehung, die dem Mitarbeiter zudem dabei hilft, eigene „agile“ Ergebnisse zu beurteilen und sie mit denen vergangener Entwicklungsprojekte zu vergleichen. Mit der Zuweisung klar benannter Rollen und Verantwortlichkeiten reduzieren Sie die Unsicherheit im einzelnen Projekt und können so die Einsatzbereitschaft Ihrer Mitarbeiter erhöhen.

Detaillierte Implementierungsdokumentation
Ein wichtiges Prinzip agiler Entwicklungsansätze liegt in der Anwendung leichtgewichtiger Prototypen, mit denen das Team Aspekte der zu entwickelnden Produkte und Services testet. Die Testergebnisse aber nehmen die Entwickler viel weniger wichtig als die weitere Ausarbeitung und Verfeinerung. Dabei erschwert eine mangelhafte Ergebnisdokumentation die Implementierung der entwickelten Prototypen. Schaffen Sie ein einheitliches Dokumentationsformat und damit eine wesentliche Voraussetzung für die Ein- und Fortführung agiler Vorgehensweisen in Ihrem Unternehmen.

Guidelines für agile Methoden
Erfolge lassen sich nur replizieren, wenn zentrale Erkenntnisse zu agilen Entwicklungsmethoden aus dem Pilotprojekt sichtbar sind. Für den Übergang vom kleinen Piloten zu einer langfristigen Anwendung ist die Ergebnisdokumentation von allergrößter Wichtigkeit. Team-Guidelines zur Anwendung agiler Ansätze helfen Ihren Mitarbeitern, die gewonnenen Erkenntnisse und Lernerfolge zu dokumentieren und miteinander zu teilen. Auf diese Weise entstehen Anleitungen zum Verhalten in den jeweiligen Entwicklungsschritten, und die Akzeptanz der schnellen, iterativen Vorgehensweise steigt. Bestehen Sie auf diesen Dokumentationen, denn sie helfen Ihren Teams auch dabei, Vertrauen in die eigenen „agilen Fähigkeiten“ zu stärken. Die hilfreichsten Eigenschaften für den Weg zur Verankerung agiler Verfahren sind indessen ganz klassischer Natur: Führungsstärke, Überzeugungskraft und vor allem Geduld.

AUTOR: PROF. DR. JANMARCO LEIMEISTER, UNIVERSITÄT ST. GALLEN, DIREKTOR UND LEHRSTUHLINHABER INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSINFORMATIK